Bellybook

Es gab in den Badezimmern der Hotelzimmer keine Waagen und auch sonst war Michael bisher nichts dergleichen aufgefallen, mit dem er sein Gewicht hätte feststellen können. Jedenfalls wusste er, dass er zugenommen hatte. Keine seiner Hosen passte ihm mehr. Nun war das nicht das Schlimmste, denn er musste sowieso wärmere Kleidung einkaufen, da der Herbst in diesem Jahr überaus kühl war.

Michael wägte seine Handlungsoptionen ab. Er könnte abreisen. Das wäre die konsequenteste, zugleich aber auch die teuerste Möglichkeit, der Wetteinlösung aus dem Weg zu gehen. Er könnte aber auch einfach den Termin und die Engländer ignorioeren. Zwingen konnte ihn niemand zu etwas. Oder er könnte das Gespräch mit Wayne und David suchen, was wohl wenig zielführend sein würde. Die beiden bestechen und sich Freikaufen war auch keine wirkliche Lösung, da er auch nicht sonderlich viel Bares dabei hatte. Es war immerhin ein all-inclusive Urlaub, in dem er sich befand. Die letzte und ultimative Lösung war schließlich das Antreten der Wettschuld.

Nachdem die Kontrahenten sich in entgegengesetzer Richtung von der Bar entfern hatten , fing Michael an auf Patrick einzureden. "Sag mal was ist denn das für'n Plan? Man kann bei diesen Engländern doch froh sein, wenn sie einem nicht direkt auf die Fresse hauen und du forderst sie auch noch heraus?" "Na also die Wette werden wir doch mit Leichtigkeit gewinnen." entgegenete Patrick. "Ich meine gucken wir uns doch mal beide an. Also Essen sind wir wahrlich gewohnt."

Das Wetter in Johannesburg war mittlerweile so herbstlich geworden, dass die meisten Hotelgäste auf den beheizten Innenpool auswichen. Dort an der kleinen Poolbar genossen nun auch Michael und Patrick ihre Cocktails, nachdem die ein wenig gebplanscht hatte.

Der Lärm im Stadion war unbeschreiblich. Aber nicht durch die Vuvuzelas, im Block wo Michael und die anderen aus der Gruppe saßen überwogen die "Deutschlaaaand"-Rufe. Die bangen Minuten vor dem Abpfiff im Spiel gegen Ghana waren überstanden und der Freudentaumel über den Einzug ins Achtelfinale brandete auf.

Mittlerweile war schon der vierte Tag der Reise vorbei. Michael hatte bisher tapfer an allen Gruppenevents teilgenommen, seien es Stadführung, Tanzworkshop oder wie heute der Ausflug in einen Safaripark gewesen. Das hatte eigentlich sogar Spaß gemacht und mittlerweile hatte er auch seine zwei, drei Leute gefunden, mit denen er sich gut unterhalten konnte. Aber dennoch verzichtete er heute Abend auf die Kneipentour, denn er musste sich einfach mal ausruhen.

Michael wurde erst gar nicht richtig wach, als er das elektronische Surren des Türschlosses hörte, und so kam er gar nicht auf die Idee, sich ein Bettlaken überzuwerfen. Er öffnete nur verschlafen die Augen und sah auch schon den Fremden Mann an seinem Bett stehen. Oh Gott, dachte er einen Augenblick, das ist mein Ende.

"102,6 - Die Hits die ich will!" Michael kam sich mittlerweile schon ziemlich blöd vor, dass er seit Tagen bei jedem Handyklingeln mit unterdrückter Nummer erst einmal diesen Satz los ließ. Meist stieß er beim Gegenüber jedoch auf Verständnis, denn die Radiojingles zum WM-Gewinnspiel kannte quasi jeder in der Stadt.    "Schönen guten Morgen, wen hab ich denn da am Apparat?" Michael zuckte zusammen. Das war die Stimme des Radiomoderators. Sollte er etwa...