Für Dennis war das Studentenleben jeden Tag aufs Neue aufregend. Zwar brachten gerade die ersten Wochen viel Stress und Orientierungslosigkeit mit sich, doch zum Glück ging es allen hier so und niemand erwartete von ihm, alles perfekt zu machen. Den Perfektionismus, den er noch zu Schulzeiten an den Tag gelegt hatte, hatte er mittlerweile hinter sich gelassen. In dieser Hinsicht war der Aufenthalt in dem Kloster für ihn tatsächlich ein Wendepunkt gewesen.
Statt seiner frühren Körperfixierung stand für ihn danach das genussvolle Leben im Mittelpunkt. Klar, ein paar der Kilos, die man ihm da mehr oder minder gegen seinen Willen aufgemästet hatte, hatte er schnell wieder verloren. Das verlangte alleine schon die Peinlichkeit, der er sich nach den Ferien ausgesetzt sah. Bis zum Abi hatte er sich wieder auf sportliche 90 Kilo heruntertrainiert. Nur ein bisschen Bauchspeck war noch da, aber das störte ihn nicht. Sowieso hatte er mittlerweile festgestellt, dass er in gewissen Kreisen mit ein bisschen mehr auf den Rippen besser ankam. Nach seinen ersten homosexuellen Erfahrungen im Kloster begann er mehr und mehr mit Männern herumzuexperimentieren. Einmal hatte er sogar zwei Monate lang so etwas wie eine Beziehung mit einem Typen, der bereits studierte. Aber letztendlich hatte es dann doch nicht geklappt mit ihm und Valerio. Schlimm fand er es allerdings nicht, denn insgeheim schwärmte er ja sowieso für seinen Tutor Mike. Zu schade nur, dass der nicht schwul war. Also er wusste es natürlich nicht, aber Mike machte einen ganz und gar unschwulen Eindruck auf ihn.
Ab und an hatte er auch noch versucht, den Kontakt zu Max wieder aufleben zu lassen. Doch egal ob er ihm SMS schickte, Messages oder E-Mails, von Max kam keine Reaktion. Schließlich gab Dennis die Kontaktversuche auf und erklärte Max in seinem Gedächtnis für tot. Sollte er sich doch noch einmal melden würde diesmal Dennis kein Lebenszeichen zeigen.
„Mist!“ dachte Dennis als er an der Stelle wo sich das so dringend benötigte Buch befinden sollte nur eine Lücke klaffte. Ausgeliehen war der Band nicht, laut Bibliothekskatalog müsste das Exemplar hier sein. Vermutlich hatte sich irgendjemand einen privaten Semesterapparat zusammengestellt, indem er irgendwo in einem völlig anderen Fach seine benötigten Bücher lagerte. Das Klima unter den Juristen war ja schon hart, aber die BWLer trieben diese Sache um einiges gemeiner und durchdachter. Während er die Blicke über die Regalreihe schweifen ließ, um das Exemplar vielleicht doch noch an einer falschen Stelle zu finden, schritt ein Student zielstrebig an ihm vorbei und ging auf die Rückseite der Regalwand. Ohne lange zu Suchen griff er nach einem Buch und durch die Fächer hindurch konnte Dennis erkennen, dass er sich um den gesuchten Band handelte. „Unverschämtheit.“ Dachte er und wollte den Bücherverstecker schon aufhalten, doch dann traute er sich doch nur ihn unauffällig zu verfolgen. Der Typ ging mit dem Buch seelenruhig zu einem Tisch und begann zu lesen und Stellen herauszuschreiben. Dennis nahm mit irgendeinem Buch, was er aufs Geradewohl aus einem Regal gegriffen hatte, zwei Reihen hinter ihm platz und beobachtete unauffällig sein Buch. Nach etwa 10 Minuten räumte der Typ seine Unterlagen zusammen, trug das Buch in sein Versteck zurück und verließ den Teil der Bibliothek. Nun war Dennis Stunde gekommen. Er ging zu dem Regal und fand sein ersehntes Buch. Glücklicherweise war es ausleihbar und so steckte er es schnell in einen Stapel aus zwei Büchern, die er sowieso ausleihen wollte. Auch ein paar andere Bücher zum gleichen Thema standen direkt daneben. Davon staubte Dennis gleich noch drei mit ab, da sie ebenfalls für sein Referat passten.
Eine Woche später hielt er dann seine Präsentation und konnte die Stunde dank der passenden Literatur gut gestalten. Als er später in einer Freistunde seien Mails checkte, hatte er bereits die erste Reaktion auf sein Referat:
„Hi Dennis, interessantes Referat heute. Aber könntest Du deine Literatur jetzt bitte wieder dahin stellen, wo Du sie herhast? Ich würde nämlich gerne an meiner Hausarbeit zu dem Thema weiterschreiben, da komme ich dank Dir seit einer Woche nicht weiter! Tobias.“
„Scheiße“, dachte Dennis, „der Bücherverstecker saß in seinem Seminar. Wieso war er ihm bisher nicht aufgefallen? Vermutlich lag es daran, dass er ihn in der Bib immer nur von hinten oder durch Regale verdeckt gesehen hatte. Über die Mailadresse fand er aber schnell den vollen Namen seines Rivalen heraus und eine schnelle Suche bei Facebook förderte auch einige Fotos zu Tage. Tatsächlich, das war ein Typ der meist in der letzten oder vorletzten Reihe saß und bisher noch nicht weiter aufgefallen war. Na da hatte er sich ja in eine schöne Scheiße hineingeritten….
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