Der Französischkurs war schon der vierte Anlauf, den Max seit seiner Ankunft vor einem Monat unternahm, Kontakte zu knüpfen. Nach anderthalb Jahren Arbeitslosigkeit war er bereitwillig auf das Angebot eingegangen, ein Büro des Versicherungskonzerns in diesem erbärmlichen Ludwigshafen zu übernehmen.
Was das Kontakteknüpfen anging war er ein wenig konservativ. Zwar nutze er für schnelle Nummern immer wieder mal das Netz, aber hier wollte er doch zumindest ein paar „gewachsene“ Beziehungen zu andere etablieren. Und das ging nun einmal online nicht besonders gut. Also hatte er aus der Not eine Tugend gemacht und begonnen sich in Kursen anzumelden. Erst war da der Pilates-Kurs im Fitnessstudio, den er aber glücklicherweise nach der Schnupperstunde nicht fortsetzen musste. Da waren, man hätte es sich denken können, nur Frauen mittleren Alters und ein paar schrille Trümmertunten. Der Kochkurs hatte sich auch als Flop herausgestellt, denn erstens war er schon viel zu gut und Strebertum kam nirgends gut an. Zudem gab es da diese nervige Mona, die sich von Anfang an an ihn ranschmiss und mit ihm ein Team bilden wollte. Der Einsteigerkurs war zum Glück nur 5 Mal und einmal hatte er es schon geschickt geschafft, nicht hingehen zu müssen. Mit Spanisch hätte es fast geklappt. Die Teilnehmer waren in seinem Alter, 60 % Männer und einige wohl auch schwul. Nur leider waren die alle so toll latin-mäßig drauf, sahen so hammergeil aus und sprachen, obwohl es ein Anfängerkurs war, bereits so gutes Spanisch, dass er daneben nur wie das dumme, dicke, hässliche Entlein wirkte.
Wenn es mit Französisch nun auch nicht klappte würde er seine Taktik zwar weiterfahren, aber jeder Rückschlag nahm ihm auch ein Stück weit die Hoffnung, hier noch richtig warm zu werden. In dem Raum waren bereits 6 Kursteilnehmer. Nun galt es, sich in Sekundenbruchteilen einen Überblick zu verschaffen und sich den möglichst besten Sitzplatz zu wählen, um sich potenziell interessanten Kandidaten anzunähern. Zu den möglichen Kandidaten zählten sowieso nur zwei, ein Mittdreißiger mit Hemd und Krawatte, der anscheinend direkt von der Arbeit in diesen Kurs gekommen war. Und dann war da noch ein Asiate Anfang 20. Nicht dass Max etwas gegen Asiaten hatte, aber… er wählte also den Anzugträger.
Er hatte seinen Kuli noch nicht aus der Tasche genommen, da bereute er diese Wahl schon. Nicht nur dass dieser Kerl breitestes Pfälzisch sprach, ein ihm mittlerweile so sehr verhasster Dialekt, den leider fast alle seine Kunden sprachen. Er verströmte aus all seinen Poren diese Gestank von Machoschnösel, was noch durch die vielen kleinen Details, die Max erst jetzt aus der Nähe auffielen, unterstrichen wurde. Da waren di gegelten haare, der Montblanc Kuli, Papier der Marke Polo und ein Porsche-Schlüsselanhänger. Und was dieser Typ bereits in den wenigen Minuten für einen Müll laberte, denn er schien in Max einen seiner Cigarren-Golf-Stripclub-Buddys zu sehen.
Zu gerne wäre er noch aufgestanden und hätte den Platz gewechselt, am liebsten zu dem eben durch die Tür tretenden Typ mit wilden, roten Haaren. Der schien auch die Taktik des Raum-Abcheckens zu fahren, denn er bleib einige Sekunden stehen, und blickte durch die Runde. Dann jedoch, zu Max‘ Überraschung, nahm er entgegengesetzt zu den anderen Platz. So würde er sich die ganze Zeit umdrehen müssen, das war sehr unpraktisch. Es sei denn…
„Bon soir, guten Abend.“ Sagte der Rotschopf auf einmal. Dann blickte er nochmals in die Runde. „Nun, ich denke wir können ja schon einmal Anfangen, auf meiner Liste habe ich 8 Teilnehmer und 7 zähle ich bereits. Ich bin Maurice Dauphin, Ihr Kursleiter für Französisch I. En Francais: Je suis Maurice, le professeur.“ Nun ging es Reihum, jeder stellte sich mit ‚je suis’ vor und fügte so gut er eben konnte etwas an. Dabei wurde schnell klar, dass zwar auch hier einige schon fortgeschrittenere Kenntnisse hatten, doch alles im Allem klang es bei den meisten noch recht holprig.
„Bien sure, sehr gut.“ Meinte Maurice als sie die Vorstellungsrunde durchhatten. „Nun zu den Formalia. Ist es ok wenn wir uns Duzen? Sehr gut, es gibt ja zwar auch im Französischen die „Sie“ und „Du“ Unterscheidung, aber ich möchte nicht jedes Mal Monsieur So-und-so oder Madame XY sagen müssen. Dann mal zu den Materialien…“ Die 90 Minuten gingen sehr schnell vorüber, so kam es zumindest Max vor, der die ganze Zeit auf den Kursleiter gebannt war. Er versuchte aus seiner Gestik oder Sprache Indizien über dessen sexuelle Vorlieben herauszulesen, was natürlich totaler Quatsch war. Auch seine Kleidung gab ihm so gar kein eindeutiges Bild. Ringe oder sonstigen Schmuck trug er nicht, also zumindest schon mal keinen Ehe- oder Verlobungsring.
„So, damit wären wir für heute am Ende.“, verkündete Maurice schließlich. „Ich gehe im Anschluss immer noch etwas trinken, wer möchte kann gerne mitkommen.“ Welch eine Gelegenheit! Durchfuhr es Max. Aber erst müsste er mal abwarten, wie es mit den anderen stand. Alleine mitgehen wäre doof, das hätte so was von ‚man hat es nötig weil man keine Freunde hat’. Langsam packte er seien Sachen zusammen um zu sehen, ob noch jemand Anstalten machte zu bleiben. Und tatsächlich, zwei Frauen auf der Gegenüberliegenden Seite bewegten sich ähnlich langsam und warteten schließlich am Türrahmen. Na dann war es konform, wenn auch er mitging.
„Ich gehe immer ganz gerne ins ‚Bernhards’“, schlug Maurice vor, „das liegt hier direkt um die Ecke.“ Auf dem Weg in die Kneipe plauderte man ein bisschen, warum jeder den Kurs besuchte. Eine der beiden Frauen hatte im Urlaub einen Algerien kennen gelernt, der nur französisch sprach und ihr Freundin sei einfach mitgekommen, damit sie nicht alleine sei. Nun war Max dran, seine Geschichte aufzutischen. Er erzählte, dass er sich gerne beruflich weiterentwickeln wollte und da französisch nicht schlecht wäre. In der Kneipe angekommen bestellten die beiden Frauen zwei Rotwein. Maurice bekam ein Kölsch, dem sich Max anschloss. Nach der ersten Wunde ging Maurice kurz auf die Toilette. Sofort fingen die beiden Frauen an zu tuscheln.
„Und, is er nicht süß?“ sagte die Begleitfreundin der Algerien-Liebschaft. „Und ich habe keinen Ring gesehen!“
„Ja, der ist bestimmt Single. Wir versuchen das gleich mal ein bisschen rauszubekommen, ein zwei Bier mehr und dann läuft da schon noch was.“ Max runzelte die Stirn, ließ sich aber ansosnten ncihts anmerken. Als Maurice zurück war legten die beiden mit ihrer Baggerei los. Doch so sehr sie sich bemühten, Maurice verstand es geschcikt Fragen nach seinem Beziehungsstatus abzublocken. Nach dem dritten Kölsch und dem zweiten Glas Rotwein gaben die beiden Frauen es schließlich auf und verabschiedeten sich. Auch Max wollte schon die Rechnung bestellen, doch Maurice gab ihm mit einer unauffälligen Geste zu verstehen, er solle noch warten.
„Warte, ich bestell uns noch zwei Pastis. Die beiden hatten’s ja so eilig, sonst hätt’ ich für die auch noch einen mitbestellt. Ganz schön gesprächig, nicht war?“
„Für meinen Geschmack schon ein wenig zu gesprächig.“ Antwortete Max.
„Ja, und immer nur um das eine Thema rum, als ob es nix anderes gebe.“ Ergänzte Maurice genervt.
„Ich glaub die eine stand auf dich.“
„Die Befürchtung hab ich auch, große Mühe gegeben es zu verbergen hat sie sich ja nicht.“ Maurice nahm das Glas Pastis in die Hand und hielt es zum Anstoßen hoch. „Aber da wird sie leider enttäuscht werden. Prost. Und du so? Bist du Single?“ Max zögerte einen Moment. Wo lief denn diese Frage jetzt hin.
„Ähm… ja ne, Single.“ Stammelte er etwas unbeholfen.
„Ich auch, aber das müssen die beiden Mädels ja nicht wissen.“ Maurice machte eine kurze Pause und blickte Max lächelnd an. „Und wohnst du schon lange hier in Ludwigshafen?“
„Ne, erst ein paar Wochen.“
„Dachte ich mir. Wärst mir sonst bestimmt schon mal aufgefallen. Die Szene ist ja nicht so groß hier, das meiste spielt sich drüber in Mannheim ab. Kanntest du das ‚Bernhards’ hier überhaupt?“
„Ne,“ antwortete Max, „ehrlich gesagt bin ich noch gar nicht viel weggegangen.“
„Na verpasst hast du dabei nicht viel. Aber ich kann dir ja mal die paar lohnenswertesten Ecken zeigen. Hast du noch Lust hiernach weiterzuziehen?“
„Klar, gerne.“ Max’ Herz schlug schneller. Wie würde der Abend wohl noch weitergehen? Und hatte er das eben richtig gedeutet, als Maurice von ‚Szene’ sprach? Meinte er die Gay-Szene?
„Cool, dann zeig ich dir nämlich noch, wo es das geilste Dessert der ganzen Stadt gibt: das Éclair des Todes.“
Teil 2: Mr. Schneepflug
Teil 2: Mr. Schneepflug
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