Mittlerweile war der Schneefall stärker geworden. Der von allen Medien heraufbeschworene „Mega Winter“ (ja, es war Dezember und überraschender Weise fiel Schnee) schien sich tatsächlich mit voller Wucht über dem Mittelrhein zu entladen.
Das war für diese milde Region mit ihrem selbst für Weinanbau tauglichen Klima schon keine Regelmäßigkeit, aber nichts auf das man sich nicht hätte einstellen können. Die Verkehrsbetriebe und die Räumdienste jedenfalls hatten es nicht getan. Das würden Max und Maurice aber erst später herausfinden, denn gerade in diesem Moment betraten sie weiß bepudert das Treppenhaus vom ‚Waldmann’. Das ‚Waldmann’ war ein Wortspiel mit dem Namen seines Besitzers, Robert Förster, und mittlerweile auch sehr rustikal eingerichtet. Da gab es Eichtäfelung, Tannendeko, Hirschgeweihe und die Kellner trugen grünen Loden und Gamsbarthüte. Das gab gerade bei der jungen Crew einen hübschen Look zumal unter den Ärmellosen Lodenwesten knackig Muskulöse Oberarme hervorschauten. Von oben aus dem zweiten Stock hatte man fast schon so etwas wie Aussicht, die aber leider bei Weitem nicht bis zum dichten Pfälzer Wald reichte. Komplettiert wurde der Stilbruch durch leinten Minimal-House, der im Hintergrund auf das durchweg sehr trendige Publikum einschallte.
„So“, erklärte Maurice als sich sie gesetzt hatten, „das also ist eine der wenigen netten Locations, die es selbst hier in Ludwigshafen gibt.“
„Sehr….hm…“, überlegte Max um den richtigen Ausdruck zu finden, ‚kontrastiv.“
„Ich würde von abgrundtief hässlichem Kitsch sprechen, aber man könnte es diplomatischer auch als ‚kontrastiv’ bezeichnen.“
„Und dieses Éclair das du erwähntest, das ist ein Cocktail?“
„Nein, in der Tat haben die hier sehr gute Kuchen und Torten. Und das Éclair ist meiner Meinung nach das Beste auf der Karte.“ Maurice reichte Max die Karte und schlug die Dessertseite auf. Da stand auch wirklich ‚Èclair des Todes’ drin.
„Ach das heißt wirklich so? ich dachte das wäre nur’n Witz von dir gewesen. Weil den Begriff ‚Éclair des Todes’ kenn ich aus den Simpsons.“
„Genau“, antwortete Maurice strahlen, „das ist auch der Verweis. Aber du bist einer der ersten, denen das auffällt.“
„Ach ich hab früher, und um ehrlich zu sein auch heute noch, viel Zeit mit den Simpsons verschwendet. Und die Éclair-Folge ist schon echt witzig, am geilsten am Schluss als Homer fast das vergiftete Éclair gegessen hätte und Lisa ihn warnt mit:“
„…iss das nicht, das ist fettfrei!“, unterbrach Maurice. „Ja, das ist schon sehr witzig. Aber Zeit verschwenden würde ich die Simpsons nie nennen, die sind so voll von Andeutungen und tiefgründigem Humor, die kann man sich nie oft genug anschauen.“ Nun hatten beide ihr Gesprächsthema gefunden, was die Wartezeit auf das Dessert verkürzte. Max kannte Éclairs aus Bäckereien als Brandteigröllchen mit Vanille- oder Schokocreme. Aber was hier als Eclair aufgetischt wurde ließ alles zuvor gesehen in Bedeutungslosigkeit verschwinden. Das Gebäckstück war so groß wie ein halbes Subway-Sandwich und quoll an der Seite über vor Cremefüllung.
„Wow, das nennen die aber zu Recht ‚Éclair des Todes’!“ rief Max überrascht aus, als der Kellner sich umgedreht hatte. Er schien es aber noch gehört zu haben denn er drehte kurz den Kopf um und zwinkerte ihm verschmitzt zu.
„Ach, möchte man denn bei Süßspeisen wirklich über gesunde Ernährung und Kalorien reden?“, meinte Maurice, „Die französische Küche ist voll von den schlimmsten Nahrungsextremen und trotzdem sind die Franzosen eines der Völker mit der höchsten Lebenserwartung.“
„Und schlank dazu ja meistens auch noch.“ ergänzte Max.
„Wobei ich das eigentlich ein bisschen schade finde“, meinte Maurice, „denn das zeigt ja, dass sie ihre tolle Küche nicht allzu oft genießen. Würde ich dauerhaft in Frankreich leben wäre ich bestimmt doppelt so dick wie jetzt, denn ich würde den ganzen Tag nur essen.“
„Ach ich dachte Du wärst Muttersprachler“, meinte Max überrascht.
„Nein nein, ich bin Schweizer. Aber im französischsprachigen Teil aufgewachsen, also defacto Muttersprachler. Das gute ist, dass ich dadurch eben beide Sprachen, also deutsch und französisch akzentfrei sprechen kann. Und ein bisschen Italienisch bekomm ich auch noch hin.“
Während die beiden sich so unterhielten und sich durch die Berge an Cremefüllung und Brandteil aßen, bauschte sich die Schneedecke immer höher auf. Und als sie um halb 11 hinaus auf die Straße traten, da reichte ihnen der Schnee schon bis zur halben Wade.
„Oh, das ist aber schon viel Schnee.“ Meinte Max etwas flapsig, denn zwei Grog die die Begleitung zum Dessert waren zeigten ihre Wirkung.
„Scheiße, siehst du noch irgendwo Autos fahren?“ fragte Maurice. Doch die Hauptstraßen waren leer, über allem lag eine geschlossene Schneedecke. Auch die Schienen der S-Bahn, die über die Kreuzung verliefen, waren nicht mehr zu erkennen.
„Wo hast du denn geparkt?“
„Auf meinem Tiefgaragenstellplatz in Mannheim. Ich fahre zu den Kursen immer mit der Bahn rüber, damit man danach auch noch was trinken gehen kann. Aber das mit dem zurückkommen ist ja jetzt Scheiße.“
„Wie weit hast du es denn?“ fragte Max, der schon seine Chance witterte.
„Bestimmt 6 bis 7 Kilometer, schätze ich.“ Antwortet Maurice. „Und durch den Schnee denk ich mal brauch ich dafür mindestens 2, eher mehr Stunden.“
„Du kannst gerne bei mir pennen, ich wohne 500 Meter von hier.“
„Echt? Oh Mann das wäre so super! Aber nur wenn’s wirklich kein Problem ist.“
„Überhaupt nicht, so hab ich ja auch noch ein bisschen Unterhaltung heute Abend.“ Max hatte das eigentlich nur so dahergesagt doch Maurice schien schon einen Schritt weiter zu denken, mochte es auch bei ihm der Grog sein, denn er griff Max’ Hinterkopf mit seiner Hand, zog ihn zu sich heran und gab ihm einen langen Kuss auf den Mund. Ohne etwas zu sagen ließ er ihn nach einigen Sekunden wieder los und meinte:
„So, dann machen wir uns mal auf den Weg. Welche Richtung müssen wir?“
Kommentare
nolvadex