Für die Strecke Wien - Zürich nahm Josef den Nightjet der ÖBB. Es dauerte zwar länger als zu fliegen, aber er mochte Bahnfahren und außerdem konnte er so in seinem Schlafwagenabteil gemütlich liegen und schlafen und kam am nächsten Morgen wach und erholt an.
Vom Züricher Bahnhof ging es dann mit der Uetlikonbergbahn bis Waldegg, wo die Messe in einem neugebauten Hotel stattfand. Er hatte die Reservierung seines Onkels übernommen, sonst hätte er sich lieber etwas zentral in der Stadt gesucht, um abends noch ein bisschen Spaß im Gaylife zu haben. Aber im Zweifel könnte er da ja auch mit dem Taxi hinfahren. Zürich war zwar schon um einiges teurer als Wien, aber sein Onkel war kein Geizhals. Insgeheim vermutet Josef ohnehin, dass der kinderlose alte Zausel ihm irgendwann alles vererben würde. Als erstes würde er dann das Cafe komplett entkernen und modern einrichten. Oder auch vielleicht ganz verkaufen, wer wusste das schon.Das Hotel schien speziell für gastronomische Messen ausgelegt zu sein, denn es verfügte über mehrer Konferenzräume mit gefliesten Schauküchenbereichen. Josef hatte sich auf der Hinfahrt kurz durch das Programm gelesen. Er wollte einige Infoworkshops zu Küchenmaschinen besuchen, dann mehrere Schokoladen- und Backzutaten-Tastings und zwei Pralinenworkshops. Das sollt eihm hoffentlich genug Inspiration geben, um für seinen Onkel die nächste Praline des Jahres zu kreieren. Dass er einer der Jüngeren hier war, fiel ihm schnell auf. Aber nicht nur ihm.
“Gruezi.” sprach ihn jemand von hinten an, während er gerade etwas ziellos in der Lobby stand. Josef drehte sich erschrocken um. Vor ihm stand ein etwa 1,90 m großer blonder Kerl, muskulös mit leichten Ansatz von Speckschicht und grinste ihn breit an. “Ich glaube wir sind die beiden jüngsten Teilnehmer hier. Vertrittst du auch jemand? Ich bin der Max.”
“Josef.” erwiderte Josef und schüttelte die ihm entgegengestreckte Hand. “Ja stimmt, ich bin hier für meinen Onkel.”
“Das dachte ich mir schon.” sagte Max und grinste. “Ich soll für meinen Vater hier ein bisschen spionieren.” Max kicherte und beugte sich dicht zu Josef. Dann flüsterte er “Aber pschhhht.”
“Also auch nicht so ganz tief in der Materie drin?” fragte Josef.
“Doch, ich kenne den Betrieb meines Vaters schon gut.” sagte Max. “Es geht mehr darum, dass nicht jeder der andern gleich sehen soll, wofür wir uns interessieren.”
“Soso, um Industriespionage vorzubeugen.”
“Du wirst lachen.” sagte Max auf einmal mit ernstem Gesicht. “Es sind nicht nur die Chinesen, die Kopieren und Plagiieren.” Dann deutet er mit seinen Fingern zwei Hasenohren hinter seinem Kopf an und schob die Schneidezähne wie Hasenzähne vor. Josef verstand die Andeutung und musste schmunzeln.
“Na dann hoffen wir mal, dass deine Tarnung nicht auffliegt.”
“Ich halte mich einfach an dich und gebe mich als dein Assistent aus, dann merkt keiner was.” meinte Max mit einem Grinsen. Er gefiel Josef.
“Und dein Okel betreibt eines der traditionsreichen Kaffeehäuser in Wien?” fragte Max.
“Ach eher so die Randlage.” meinte Josef leicht verlegen. “Ich glaube nicht, dass dir das “Café Schlagobers” etwas sagt.”
“In der Tat noch nicht, aber der Name klingt doch schon mal gut. Da seid ihr sicher Spezialisten für Sahnetorten.”
“Eigentlich haben wir nur eine Spezialität, das ist die Praline des Jahres.” meinte Josef. “Das ist auch der Grund, warum ich hier bin, um die Kreation für die kommende Saison zu entwickeln.”
“Hm, na da wirst du sicher fündig werden. Wenns Schokoladig werden soll helfe ich dir gerne.”
Die Messe startete mit einem Eröffnungsvortrag, in dem sich Max praktischerweise mit Josef zusammen in einer der hinteren Reihen setzte, so konnten sie sich zwischendrin den ein oder anderen Kommentar zu dem Vorgetragenen zuflüstern. Josef merkte schnell, dass Max und er aus einer anderen Gernation an Chocolatiers stammten. Nach gut einer Stunde und einer weiteren Kaffeepause - mit Pralinen auf allen Tischen - begannen auch schon die ersten Workshops.
“Was willst du dir anschauen?” fragte Max. Er hatte sich ein kleines Tellerchen mit Schokoladenstücken zusammengestellt, die er knabberte während er einen Kaffee trank.
“Ich würde mir den Pralinenworkshop gleich nach der Pause ansehen wollen.”
“Cool, das komm ich natürlich mit.”
In dem Workshopraum mit seinen Küchen versammelten sich Stück für Stück die Teilnehmer. Dann kam eine kleine, leicht untersetze Dame in einem weißen Kochoutfit und stellte sich vorne an einen der Arbeitsplätze. Sie war die Kursleiterin.
“Guten Morgen. Mein Name ist Maria Lamanca.” erzählte sie mit einem possierlichen flämischen Akzent. “Ich kommen aus der Nähe von Antwerpen und arbeite dort seit über 20 Jahren in der Pralinenherstellung. Heute möchte ich Ihnen zunächst einen Überblick über einige Geräte geben, die Sie bei der Arbeit benötigen und wie sie damit umgehen können. Danach geht es an die praktische Phase, für die ich Sie bitten würde, sich in Teams von 2-3 Personen zusammen zu tun.”
Die Dame zeigte nun vorne verschiedene Gerätschaften zum mahlen, erhitzen, aufschäumen und drapieren von Schokoladen und Cremes. Josef schaute interessiert zu, denn so detailiert kannte er dieses Handwerk nun doch nicht. Max wirkte eher gelangweilt und schaute sich ein bisschen im Raum um. Nach einer Einführung von 20 Minuten bekamen alle Teams - Max und Josef hatten sich natürlich zusammengetan - ein Tablett um sich ihre Materialien zu nehmen. Vorne gab es einen großen Tisch mit den unterschiedlichsten Zutaten, verschiedene Schokoladen unterschiedlicher Hersteller mit unterschiedlichen Kakaogehalten. Dann weiter Zutaten, Milchpulver, Fette, Nougat, Marzipan und so weiter, was für die Pralinenherstellung zum Einsatz kommen konnte.
Josef griff schon nach den verschiedenen Schokoladen, die es nun einschmelzen galt, doch Max hielt ihn zurück.
“Halt, überleg dir erstmal, was für eine Praline du machen möchtest?”
“Nun ich dachte an eine Basis aus Marzipan mit zwei verschiedenen Schokoladen, einmal Vollmilch udn einmal Zartbitter.”
“Hm, das klingt schlüssig.” sagte Max, “Doch warum die fertige Vollmilch nehmen. Wer weiß, was in der Schokolade noch drin ist. Mein Vater sagt immer, man sollte vom höchsten Kakaogehalt ausgehen und sich dann durch die Zugabe feinster Sahne und Zuckers hinunterarbeiten zur gewünschten Cremigkeit.”
“Also soll ich Zartbitter nehmen?” fragte Josef und griff zu einem andern Schälchen.
“Nicht diese.” Max schüpttelte den Kopf. Er griff zu einer Schokolade, die als “intense” gekennzeichnet war. 80 % Kakaogehalt.
“Das ist viel zu bitter für Pralinen.” Josef runzelte die Stirn, denn er meinte eigentlich, sich in der Pralinenherstellung etwas auszukennen, so oft wie er seinem Onkel geholfen hatte.
“Lass mich nur machen.”
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