von Warin
Jan wachte am nächsten Morgen als Erstes auf. Auch er war am Abend im Wohnzimmer in ein tiefes Fresskoma gefallen. Was am Abend somit noch ein unbeschreiblich beflügelndes Gefühl war, entpuppte sich nun als folgenschwerer Fehler. Schmerzen waren bereits seit vielen Kilos ein ständiger Begleiter. Normalerweise waren sie gut zu ertragen. Sie gehörten einfach dazu. Es war immerhin eine immense Belastung für den Körper. Doch die Position auf dem Sessel war alles andere als wohltuend auf Dauer. Ein stechender Schmerz zog sich so über seinen gesamten Rücken. Die Folge davon war etwas, dass Jan nur äußerst selten verspürte. Nämlich das Bedürfnis aufzustehen und sich zu bewegen. Er erhoffte sich dadurch seinen derzeit steifen Rücken etwas lockern zu können und sich somit Besserung zu verschaffen.
Unter großer Mühe richtete er sich zunächst auf, was ihm in seiner beklemmenden Lage alles andere als leichtfiel. Einen Moment verharrte Jan in dieser Position, wissend, dass das nachfolgende noch anstrengender werden würde. Sein fetter Bauch breitete sich nach vorne aus und bahnte sich einen Weg über seine Oberschenkel, um an der anderen Seite der Schwerkraft frönend, nach unten zu hängen. Das Gewicht zog ihn nach vorne, sodass sich sein Oberkörper leicht nach vorne neigte. Dem entgegenzusteuern wurde stetig anstrengender.
Nach kurzem Zögern konnte er sich jedoch dazu überwinden seinen fetten Körper hochzuwuchten und aufzustehen. Das Gefühl im Anschluss erschien selbst ihm verwirrend. Einerseits fühlte er sich leicht, nun wo sein Körper das Essen vom Vorabend verdaut hatte und dennoch war alles so endlos schwer, wohl seinen Rundungen geschuldet. Dennoch etwas erleichtert streckte er sich, wobei deutliches Knacken in seinem Rücken zu hören war, nur um anschließend wieder in seine ungesunde Körperhaltung zurückzukehren.
Doch es genügte nicht. Er hatte den Drang sich bewegen zu müssen. So setzte er sich gemächlich in Bewegung. Mit einer Hand tastete er sich halt suchend vorwärts. Gemächlich in kleinen watschelnden Schritten bewegten sich mehrere hundert Kilo alles andere als leise durch die Wohnung. Weit kam er jedoch nicht. Nach fünf oder zehn Schritten, wenn überhaupt, blieb Jan stehen. Mit seinen stämmigen Armen stützte er sich auf einer Kommode ab. Schwer atmend musste er sich eingestehen, dass er eine Pause brauchte. Ganz deutlich konnte er fühlen, wie tief unter dieser weichen Masse, die seinen Körper schmückte, sein Herz aufgeregt versuchte seinen immer größer werdenden Körper mit Blut zu versorgen.
Enttäuscht blickte er zurück. Es war keine nennenswerte Strecke, die er zurückgelegt hatte. Jan wusste, dass er unter stetig sinkender Kondition leiden würde bei seiner Zunahme. Bis vor kurzem störte es ihn auch nicht wirklich. Viel mehr empfand er es erregend. Doch nun war er sich da nicht mehr so sicher. Wenn er nun schon eine Pause auf dem Weg in die Küche brauchte. Egal wie viel Freude er über seinen Körper und seinen hemmungslosen Lebensstil die meiste Zeit empfand, so musste er such spätestens jetzt eingestehen, dass er bereits ein Gefangener eben dessen war.
Mit Mühe schüttelte er diese Gedanken ab und setzte seinen Weg in die Küche fort. Auch wenn Jans Körper streikte, so war zumindest dieses Mal sein Wille stärker. Ohne ein weiteres Mal stehen zu bleiben, erreichte er die Küche. Sie hatten sich damals, als sie einzogen viel Wert auf eine schöne Küche gelegt. Nun erschien Jan die damalige Euphorie gänzlich überflüssig. Die Küche war nun mit Abstand der am wenigsten genutzte Raum. Das hatte mehrere Gründe. Zum einen waren weder er noch Marcel jemals begeisterte Köche gewesen. Sie malten sich damals aus, dass sie es werden könnten, wenn sie gemeinsam kochen würden. Heute waren sie beide schlauer. Darüber hinaus hatte sich über all die Jahre ihre Wohnung stark verändert. Sie ließen sie für ihre geänderte Lebenssituation mehrfach anpassen. Dies bedeuteten neue Möbel, breitere Durchgänge und das Entfernen von Stufen. Die Küche hatte diesen Wandel allerdings nicht mitgemacht. Der Raum war nicht grundsätzlich zu klein. Viel mehr waren Jan und Marcel zu groß geworden. Als Jan mittendrin stand, füllte er die Leere von der Spüle bis zum gegenüberliegenden Herd nahezu luftdicht aus. Sie wären gar nicht in der Lage mit ihren über 300 Kilo aneinander vorbeizukommen. Somal es ihnen allein schon oft genug passierte, dass sie Dinge mit ihren ausufernden Ausmaßen umwarfen.
Die Folge der Unnutzbarkeit war eine bewundernswert Ordnung. Der einzige Grund sich hier aufzuhalten war der Kühlschrank. Wobei Marcel vor einiger Zeit mal vorgeschlagen hatte diesen ins Wohnzimmer zu verlagern. Damals hielt Jan den Vorschlag für dämlich, doch nun musste er sich wohl eingestehen, dass es durchaus Vorteile hätte und es wirklich nennenswerte Gründe gibt. Zumindest konnte er sich nicht vorstellen, wie er das zukünftig schaffen sollte. Diese Tortur mehrmals täglich, nur um sich beispielsweise ein Getränk zu holen. Bei dem bloßen Gedanken schmerzten seine Knochen. Auch wurde ihm nun klar, wie dies wohl für Marcel sein musste. Natürlich war Jan selbst kein großer Freund von Bewegung, doch Marcel war nochmals ein gutes Stück fauler als er selbst. Jedoch würde sich das Problem nur weiter verschlimmern, wenn der Kühlschrank ins Wohnzimmer umziehen würde. Aber vielleicht war nun auch einfach der Zeitpunkt gekommen, an dem Jan einsehen musste, dass seine Mobilität langfristig Grenzen hat. Hinzukam, dass sie das meiste bereits seit längerer Zeit im Wohnzimmer aufbewahrten, stets in greifbarer Nähe.
Jan blickte zu dem Stuhl, der vor dem Fenster stand. Seine Füße wünschten sich nichts sehnlicher als das. Also gewährte er ihnen eine Auszeit und setzte sich hin. Dabei bemerkte er, dass sein Körper im Sitzen über genügend Breite verfügte, um die Arbeitsflächen auf beiden Seiten zaghaft zu berühren.
Von seinem Platz aus konnte er mühelos den Kühlschrank erreichen. Durchaus empfand Jan es als angenehmen Luxus, dies aus einer bequemen Position tun zu können.
Die Silber glänzende Tür offenbarte ihm ein buntes Getränkeparadies. Da sie nicht kochen und sie die Snacks sowieso im Wohnzimmer aufbewahrten, war dies eigentlich die einzige Daseinsberechtigung des Kühlschranks. Denn diverse Getränke waren lediglich in kühlem Zustand genießbar. Eine vielfältige Auswahl zwischen verschiedenen Softdrinks, Energydrinks und anderen Getränken bot sich ihm. So verschieden sie auch alle zu sein schienen, hatten sie eine große Gemeinsamkeit. Jedes dieser Getränke enthielt bei weitem mehr Zucker, als man benötigte und geizte nicht mit Kalorien.
Jan griff nach einer bunten Dose. Ein Energydrink, der angeblich nach Himbeere schmecken sollte. Hauptsächlich war er einfach nur süß. Doch er empfand ihn nicht als zu süß, immerhin war er es gewohnt. Die Kohlensäure ließ ihn ein angenehmes Kribbeln verspüren, als die zuckrige Flüssigkeit hinab in seinen Bauch, oder wie Marcel ihn liebevoll nannte, Fettspeicher, floss. Berauscht, davon überkam ihn das Verlangen nach mehr, wie so oft. Schnell kippte er die gesamte Dose herunter. Es war als würde das klebrig, prickelnd süße Getränk seinen schwächelnden Körper wieder mit Energie versorgen. Dieser dürstete nach immer mehr, so folgte auch noch eine zweite Dose. Der Kohlensäure geschuldet entfuhr ihm ein lauter Rülps. Dann stellte sich mehr schlecht als recht ein geringes Gefühl der Befriedigung ein. Wissend, dass es nicht lange anhalten würde nahm er noch eine Dose für später mit.
Jan hatte nicht wirklich das Bedürfnis sich wieder zurück ins Wohnzimmer zu quälen, doch er konnte nicht den ganzen Tag in der Küche sitzen bleiben. Also machte er sich gemächlich auf den Rückweg.
Kaum hatte er sich auf seinen Platz fallen lassen, um sich von den Strapazen zu erholen, erwachte neben ihm Marcel mit einem lauten Gähnen. Mit noch verschlafenen Augen blickte er zu Jan hinüber.
„Immer wenn ich am Abend so viel gegessen habe, ist der Hunger am Morgen umso größer, sonderbar, nicht wahr?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, versuchte Marcel sich aufzurichten, doch es sah von außen mehr nach einem gestrandeten Wal aus, der versuchte ins Meer zurück zu robben.
Jan beobachtete das Spektakel amüsiert.
„Dann ist heute wohl dein Glückstag. Aiden bringt eine Kleinigkeit zum Frühstück mit, bevor wir später losmüssen. Heute ist der Termin mit Steven.“
Steven war ihr direkter Vorgesetzter bei der Agentur, bei der sie unter Vertrag waren.
Marcel warf ihm einen enttäuschten Blick entgegen.
„Nur eine Kleinigkeit? Das ist traurig.“ Er begann sich in alle Richtungen zu strecken, doch sein Gesichtsausdruck verriet Jan, dass auch er Schmerzen hatte, außerdem war das eine oder andere laute Knacken zu vernehmen. „Außerdem hatte ich gehofft, dass wir heute mal einen Tag nur für uns hätten. Gelegentlich könnte ich einen Tag Freizeit gebrauchen.“
Jan konnte sich dabei ein leises Lachen nicht verkneifen.
„Einen freien Tag wofür? Zum Essen? Zum Faulenzen? Glaub mir, beides bekommst du auch noch in unserem ach so stressigen Alltag ganz gut hin. Außerdem schadet ein wenig Bewegung nicht.“
„Igitt Bewegung! Das ist so anstrengend, das mag ich nicht.“ Marcel machte sich zwar einen Spaß daraus, jedoch entsprach es eigentlich der Wahrheit. Auch für ihn war jegliche Bewegung eine hohe Belastung, weswegen er dies so gut wie möglich vermied. Es war ihm jedoch klar, dass dies eine Teufelsspirale war.
Jan zog neben sich eine Plastikbox aus dem Regal, welche bis zum Rand mit verschiedenen Medikamenten gefüllt war. Sie gingen regelmäßig zum Arzt und ließen alles überprüfen. Dieser meinte, dass sie für ihr hohes Gewicht ziemlich gesund seien. Das änderte allerdings nichts daran, dass sie Beschwerden hatten und über die Jahre auf immer mehr Medikamente angewiesen waren. Sie waren für die verschiedensten Sachen. Gegen Schmerzen, gegen Wassereinlagerungen, für das Herz, zur Senkung des Blutdrucks und zur Korrektur des Blutzuckers. Für letzteres mussten sie sowohl Tabletten einnehmen als auch eine Spritze am Morgen injizieren. Routiniert schluckten beide eine Handvoll Tabletten mit einem großen Schluck klebrig süßer Limonade herunter. Die Injektion der Spritze erfolgte am Bauch. Die dafür zur Verfügung stehende Fläche war mehr als ausreichend.
Kaum waren sie fertig vernahmen sie das bekannte Klacken des Schlosses, als Aiden die Tür öffnete. „Guten Morgen ihr faulen Säcke. Ich habe Frühstück mitgebracht“, er hielt eine große Tüte vom Bäcker hoch.
Marcel betrachtete die mit Backwaren gefüllte Tüte misstrauisch. „Glaubst du, dass das reicht?“
Aiden legte sie vor den beiden auf den Tisch. „Das muss sie, da ich nicht mehr ergattern konnte. Aber keine Sorgen, nach eurem Termin verspreche ich euch ein üppiges Mittagessen.“
Prüfend öffnete Marcel die Tüte und begutachtete die Ware. Donuts, Berliner und einige andere Sachen befanden sich darin. Es war mehr als offensichtlich, dass es nicht genug war, um seinen Hunger zu stillen, also würde es auch nicht für beide reichen. Doch gerade was essen anging, war Marcel äußerst impulsiv. War es nicht das richtige oder nicht genug, so konnte er durchaus auch mal laut werden. Er war sich dessen jedoch bewusst und er hasste die Seite an sich und er wusste, dass Aiden so viel für sie tat. Schließlich konnte er nichts dafür, also versuchte er sich zurückzuhalten. Mehr Essen war ja immerhin in Aussicht.
Gerecht teilte er die Backwaren zwischen sich und Jan auf, währenddessen begann Aiden bereits alles vorzubereiten, sodass sich die beiden nach ihrem Frühstück direkt anziehen konnten.
Während der gesamten Fahrt gelang es Marcel nicht seine Gedanken etwas anderem, als Essen zu zuwenden. Es musste mittlerweile eine ernsthafte Sucht sein glaubte er. Wie war es sonst möglich, dass das ständige Verlangen nach Essen und die Sorge nach der nächsten Mahlzeit seinen Tag so sehr bestimmte.
Jan war hingegen viel mehr interessiert, über was Steven mit ihnen reden wollte. Sie hatten nur selten bei ihm Termine. Solange alles gut lief, war es auch nicht notwendig sich öfter zu treffen.
Aiden konnte tatsächlich einen Parkplatz in der Nähe der Tür ergattern, sehr zur Beruhigung seiner Fahrgäste.
Die Einrichtung der Eingangshalle war ebenso wie der Rest des Gebäudes äußerst geräumig und modern. Während Jan und Marcel sich schnaufend zum Aufzug vorarbeiteten und nicht die Kapazitäten besaßen ein Wort herauszubringen, grüßte Aiden die Dame am Empfang. Jan gewährte Marcel den Vortritt am Aufzug. Dieser war zwar ebenfalls geräumig aber kaum geräumig genug für beide. Außerdem machten sie sich Sorgen um die Maximallast, als fuhren sie immer nacheinander. Als dann auch Jan auf dem Weg nach oben war, setzte sich Aiden in Bewegung. Er zog es vor die Treppen zu verwenden.
Motiviert legte er ein gutes Tempo vor. Nach zwei Stockwerken merkte jedoch auch er, wie er aus der Puste kam. Offensichtlich war er derzeitig nicht in allzu guter sportlicher Verfassung. Gezwungenermaßen verringerte er die Geschwindigkeit. Dabei merkte er, dass an seinem Körper etwas mehr in Bewegung war, als dies sonst der Fall war. Oben angekommen betrachtete er den kleinen speckigen Bauchansatz, welcher sich von innen an sein T-Shirt schmiegte. Er fand, dass ihm das eigentlich gut stand, doch ihm blieb nichts anderes übrig, als in der nächsten Zeit noch etwas kürzer zu treten. Es ist noch nicht lange her, dass er deswegen von seinem Arbeitgeber eine Standpauke erhalten hatte. Dennoch störte es ihn oftmals, wie ein anderer Mensch so sehr über seinen Lebensstil entscheiden konnte, nur weil er der Meinung war, dass man selbst ein halber Athlet sein musste, um adipöse Menschen zu pflegen.
Oben angekommen erstreckte sich vor ihm ein langer Gang. Sowohl links als auch rechts davon befanden sich einige Sitzgelegenheiten, wo auch vereinzelt Leute saßen, unter ihnen auch bereits Marcel.
Jan befand sich derzeit noch auf dem Weg zu ihm. Aiden konnte sehen, wie die anderen anwesenden ihn beobachteten, als er sichtlich mit Mühe über den Flur stapfte. Es fiel ihm schwer einzuschätzen, was diese Blicke zu bedeuten hatten. Sie schienen ganz verschiedene Gedanken auszudrücken. Bei Manchen schien es Bewunderung zu sein. Anderen stand hingegen das bloße Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Da stellte sich Aiden die Frage, ob man für eine Welt, in der die Fülle und ein hohes Gewicht dem Schönheitsideal entsprachen zu dick sein konnte.
Bestand die Möglichkeit, dass Jan und Marcel diese Grenze erreicht hatten, wenn nicht sogar überschritten? Wenn ja, würde dies berufliche Folgen haben? Doch dann erinnerte sich Aiden an etwas, dass Jan kürzlich zu ihm gesagt hatte.
Er meinte, dass die Gesellschaft auch weiterhin hinsichtlich ihres Schönheitsideals einem Wandel unterliege. Der allgemein übliche Lebensstil würde nicht zu einer Stagnierung führen. Im Gegenteil würde die Welt weiter verfetten. Dicke Eltern, werden noch dickere Kinder haben. Es sei mittlerweile keine Entscheidung mehr, sondern viel mehr die neue Norm.
Zu Beginn hatte er darüber nicht weiter nachgedacht, doch es schien Sinn zu ergeben. Dennoch könnte dies bedeuten, dass Jan und Marcel dem Standard voraus waren, doch in einigen Jahren könnte es normal sein.
Als Aiden selbst den Gang entlang lief konnte er spüren, dass er nicht im Geringsten diese Aufmerksamkeit erzeugte. Er schien uninteressant zu sein. War er selbst zu dünn, um der aktuellen Norm zu entsprechen?
Es dauerte nur wenige Minuten, bis sich die große Tür zu ihrer linken öffnete und beide hereingerufen wurden.
Jan und Marcel fanden ein geräumiges modern eingerichtetes Büro vor. In dessen Mitte befand sich ein prunkvoll aussehender Schreibtisch, hinter dem ein Mann saß. Es war Steven. Er war zuständig für sie und organisierte all ihre Buchungen. Schätzungsweise war Steven kaum älter als Jan und Marcel. Allerdings war er schlank. Nein athletisch, wenn nicht sogar muskulös. Man konnte deutliche Anzeichen in seinem sauber gebügelten Anzug erkennen.
Als Steven aufschaute und sie erblickte wies er mit einem Lächeln zu den Stühlen, die ihm gegenüberstanden. Es waren Stühle, wie man sie mittlerweile immer öfter sah. Ihre Sitzfläche war so angepasst, dass sie angeblich für wohlbeleibte Menschen mit einem breiten Gesäß besonders bequem sein sollen. Auf Jan und Marcel traf dies leider nicht zu. Sie lagen schätzungsweise jeweils 100 Kilo über den üblichen Nutzern. Im Gegenteil, es war noch unangenehmer, als ein normaler Stuhl es hätte sein können. Dennoch setzten sie sich.
„Guten Tag, wir haben uns schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Ich hoffe, es geht euch gut.“
„Ich glaube nicht, dass wir uns beschweren können“, antwortete Jan.
„Sehr schön, dass wollte ich hören. Ich denke auch nicht, dass wir heute lange brauchen. Ich möchte nur ein paar aktuelle Themen mit euch besprechen.“
„Ich will hoffen, dass es nicht lange dauert. Man hat mich mit dem Vorwand, dass es nach dem Termin etwas zu essen gibt hierher gelockt“, beschwerte sich Marcel gespielt trotzig. Ganz klar sollte es ein Scherz sein. Allerdings war es Marcel insgeheim ernster, als er zugeben wollte.
„Ich werde mich beeilen, versprochen.“ Steven Lächeln war charmant. Vermutlich gehörter er zu der Sorte Menschen, die alles bekamen, was sie wollten.
„Zunächst, ihr erfreut euch nach wie vor hoher Beliebtheit. Ich erhalte regelmäßig Anrufe bezüglich eurer Buchungen und die Leute sind bereit eine akzeptable Summe für euch zu zahlen. Ich kenne euch nun schon ein paar Jahre. Ihr seid gute Geschäftspartner, deswegen möchte ich euren Anteil erhöhen. Zukünftig erhaltet ihr mehr von dem Geld. Die andere Sache betrifft eure Wohnsituation. Wir hatten vor einer ganzen Weile mal darüber gesprochen, dass eure derzeitige Lage langfristig nicht perfekt ist. Die Agentur hat bereits vor ein paar Jahren einige Immobilien aufgekauft und diese umgebaut. Ein Teil davon soll zukünftig als Eventlocations dienen, den Rest wollen wir unseren besonders loyalen Mitarbeitern zur Verfügung stellen, um sicher zu stellen, dass sie entsprechend ihrer Lebens- und Gewichtslage ideal ausgestattet sind. Ich war so frei und habe einfach mal einen Antrag gestellt. Schätzungsweise erhalte ich in wenigen Wochen Rückmeldung, ob ihr potenziell dafür geeignet seid. Entspricht dies euren Vorstellungen?“
Jan und Marcel tauschten kritische Blicke aus, nickten dann jedoch zustimmend. „Vermutlich wäre es für uns die angenehmste Lösung, da ich annehme, dass wir bereits in naher Zukunft darauf angewiesen wären.“
„Dann werde ich mich umgehend bei euch melden, sobald ich neues erfahre. Aber wenn wir schon dabei sind. Wie steht es um euren aktuellen Mobilitätsgrad?“
„Naja ich würde mal sagen nicht besonders gut“, entgegnete Marcel.
Steven blickte auf den Bildschirm seines Computers. „Mein letzter Stand war 315kg.“
„Mittlerweile sind es 325kg. Es ist schwierig und wird von Tag zu Tag komplizierter“, erklärte Jan.
„Das habe ich fast erwartet. Ein so stolzes Gewicht trägt sich ja immerhin nicht von alleine. Aber auch dafür hätte ich eine mögliche Lösung. Uns liegt daran euch so lange wie möglich, möglichst viel Mobilität zu ermöglichen. Man arbeitet, um zu leben und nicht umgekehrt. Deswegen wären wir bereit die Kosten für eine Mobilitätshilfe in Form von elektrischen Rollstühlen zu übernehmen. Auch hierfür habe ich bereits ein Formular angefertigt. Sofern ihr euch dafür entscheidet müsstet ihr nur noch durch einen Arzt ein entsprechendes Gutachten anfertigen lassen, welches die Notwendigkeit belegt.“
Jan schaute einen Moment lang das Formular an. „Danke, wir werden es uns überlegen.“ Er konnte sich zwar denken, worauf dies hinauslaufen würde, dennoch lag es ihm am Herzen es zunächst in Ruhe mit Marcel zu besprechen.
„Sehr gut, dann wäre ich mit meinen Punkten bereits am Ende. Gäbe es von eurer Seite noch etwas zu besprechen?“
„Ja, ich hätte da noch etwas“, sagte Marcel und erntete dafür von Jan einen verwirrten Blick.
„Derzeit beziehen wir Pflegeleistung über einen externen Dienstleister. Wir sind sehr zufrieden mit unserem Pfleger, allerdings bin ich mit seinen Arbeitsbedingungen unzufrieden. Er wird für das, was er leistet nicht angemessen bezahlt. Darüber hinaus legt sein Arbeitgeber fest, welchen Lebensstil er sich erlauben darf, indem er ein entsprechendes Körpergewicht voraussetzt. Das ist menschenunwürdig. Kannst du da etwas für uns tun?“
Steven dachte einen Moment darüber nach. „Ich bin mir sicher, dass ich da was tun kann. Wäre es möglich persönlich mit ihm zu sprechen?“
„Klar er wartet draußen.“
„Dann schickt ihn mir bitte kurz herein. Ich bin mir sicher, dass wir uns einigen können.“
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