von anonym
Die Schicht war vorbei, die Pizza aufgegessen. Pappsatt machten sie sich auf den Heimweg. Sören fiel auf, dass Veit noch immer sehr still war, und hakte nach: “Ist alles gut?” Veit reagierte nicht. “Bruderherz?”, begann Sören erneut. “Äh, was? Ja, ja, alles gut.” Veit dachte noch immer nach, und fühlte sich ertappt. Er musste besser aufpassen, um mit den Gedanken nicht vollends abzudriften. Sören hingegen wusste genau, dass mit seinem Bruder etwas nicht stimmte, schließlich kannte er ihn nicht erst seit gestern. Er beließ es aber dabei, denn schließlich wollte er beim Nachdenken auch nicht gestört werden. Wenn Veit mit dem Nachdenken fertig sei, würde er sich sicherlich melden, sofern er darüber sprechen wollen würde, und wenn nicht, wäre es auch nicht so schlimm. Hauptsache, es geht ihm gut.
Eine halbe Stunde vor Mitternacht kamen sie zuhause an, und setzten sich noch für einen Moment aufs Sofa. Sören bemerkte, dass Veit noch immer nicht wieder ganz auf dem Damm war, und nahm ihn in den Arm. Das ließ er sich nicht zweimal sagen, und kuschelte sich an. Die beiden hatten überhaupt keine Probleme damit, auch mal miteinander zu kuscheln. Meist taten sie das, wenn es einem der beiden schlecht ging. Sören sprach Veit noch einmal an. Er versicherte ihm, dass sie beide über alles reden könnten. Niemand würde verurteilt. Veit bedankte sich bei Sören, musste aber ablehnen, denn er war noch nicht so weit. Für Sören war das kein Problem, denn solche Situationen gab es, und wird es auch immer geben. Sollte er mal in eine solche kommen, wäre er Veit genauso dankbar, wenn er ihm den Freiraum lassen würde. Wobei, wenn er genauer nachdachte.. Wenn man es genau nimmt, hatte auch Sören Veit etwas zu sagen. Auch er hatte schon öfter darüber nachgedacht, wie er seinem Bruder am besten erklären könne, dass er diesen Fetisch hatte. Im Gegensatz zu Veit allerdings, war es Sören weniger dringlich, weswegen es ihn nicht so runterzog.
“So, Bruderherz, jetzt aber Kopf hoch, zum schmollen ist noch genug Zeit, schau mal auf die Uhr.”, sagte Sören aufmunternd. Tatsache, es war kurz vor zwölf, und die Sekunden rannen dahin. “Los, Zeit zum Runterzählen!” Und gemeinsam zählten sie: “Fünf, vier, drei, zwei, eins, Alles Gute zum Geburtstaaag!” Die beiden Brüder hatten ihren Sommerurlaub so gelegt, dass ihr 25. Geburtstag der erste Tag eines fünfwöchigen Urlaubs wurde. Dass sie dafür im Rest des Jahres kaum noch Urlaub machen konnten, war ärgerlich, aber in diesem einen Jahr, zu ihrem 25. Geburtstag wollten sie sich ein einziges Mal einen Superurlaub gönnen, und fünf Wochen Abstand von der Arbeit nehmen.
Sie stießen auf ihren Geburtstag und ihren Geburtstagsurlaub an, saßen noch einen Augenblick, und als Sören sich sicher war, dass es Veit wieder besser ging, gingen die
beiden schlafen, denn morgen sollte es nach Hause zu ihrer Familie gehen. Schnell schliefen sie ein.
Am nächsten Morgen war es Sören, der als erstes wach wurde, und Veit aus dem Tiefschlaf riss. Veit war mitten in der Nacht wach geworden, und grübelte weiter über sein altbekanntes Problem. Wie sollte er seinem Bruder bloß erklären, dass er Gainer und Feeder zugleich war? Da er erst kurz vor Sonnenaufgang endlich wieder schlafen konnte, war er auch dementsprechend gerädert, als Sören ihn freudestrahlend weckte. “Komm, Bruderherz, steh auf!”, machte Sören weiter Krach. Veit quälte sich auf, und trottete halb verschlafen hinter Sören her, der ihn in die Küche führte. Auf dem Küchentisch stand ein Kuchen, auf dem Sören noch schnell zwei Wunderkerzen anzündete. “So, und jetzt noch mal richtig: Alles Gute zum Geburtstag!”, freute er sich. „Das wünsche ich dir auch“, sagte Veit verschlafen.
Eins musste man Sören lassen. Er konnte deutlich besser kochen und backen, als Veit. Das war wohl auch der Grund, warum er es war, der jedes Jahr, seitdem sie ausgezogen waren, den Überraschungskuchen für sich und seinen Bruder backte, der gewissermaßen schon vorher solch eine Tradition hatte, dass es gar keine Überraschung mehr war. Die Freude stand Veit ins Gesicht geschrieben. Heute gab es Kuchen zum Frühstück. Könnte man sich definitiv dran gewöhnen, dachten sich sowohl Veit, als auch Sören im selben Moment unabhängig voneinander. Aber Zeit für tiefgründige Gespräche war an diesem Tag nicht. Die beiden mussten sich beeilen, denn sie wurden von ihrer Familie erwartet. Nachdem sie sich fertig gemacht hatten, machten sie sich sofort auf den Weg. Sören fuhr heute, sodass sich Veit noch etwas ausruhen und noch einen kleinen Augenblick schlafen konnte.
Ihre Eltern wohnten zwar nur im Nachbardorf ihrer Stadt, aber dennoch fuhr man insgesamt etwa 45min, bis man angekommen war. Zeit, die Veit jetzt gut gebrauchen konnte, und sie auch nutzte. Als sie bei ihren Eltern angekommen waren, ging es Veit schon deutlich besser.
Kaum dass man das Auto anhalten hörte, flog auch schon die Haustür auf, und Veits und Sörens Eltern samt ihrem kleinen Bruder Leon kamen herausgerannt, um sie zu begrüßen, und ihnen zum Geburtstag zu gratulieren. Besonders Leon freute sich, denn er vermisste seine Brüder sehr, wenn sie nicht da waren.
Zurück im Haus verkündete ihr Vater fröhlich: “So, Jungs, zu eurem 25. Geburtstag haben wir uns etwas besonderes für euch ausgedacht. Es hatte einen Grund, warum wir euch zuvor gebeten hatten, euch bitte nichts festes für euren Urlaub vorzunehmen, denn wir wollen euch überraschen. Hier ist ein Umschlag für jeden von euch.” Leon hatte die Umschläge dabei und reichte sie seinen großen Brüdern. Gespannt öffnete jeder seinen Umschlag, und konnte seinen Augen nicht trauen. Jeder
bekam einen Interrail-Pass, der einen Monat gültig war, geschenkt. Noch dazu garantierte ihr Vater ihnen, dass er sich an den Kosten für die Hotels beteiligte, und gab ihnen je 1.000€ mit, damit sie sich auch etwas leisten konnten und überreichte jedem eine Eisenbahnstreckenkarte Europas, ein Heftchen mit Planungs- und Reisetipps für Interrailreisende, und ein originales Interrail-Armband, die es beim Kauf mit dazu gab. Mit dem Armband konnten Interrailreisende sich untereinander erkennen, und ins Gespräch kommen.
Veit und Sören waren sprachlos vor Freude. Sie schauten auf ihre Pässe, und stellten fest, dass ihre Gültigkeit schon in drei Tagen beginnen sollte. Sie konnten nicht fassen, dass sie in drei Tagen schon auf Europareise gehen sollten. Beide hatten sie schon lange davon geträumt, Europa mit dem Zug zu erkunden, doch sie hatten sich schon von der Idee verabschiedet, und nun war die Reise real, und stand direkt vor der Tür. Vollkommen geplättet bekamen sie nur ein gestammeltes “D-d-danke” heraus, und mussten sich erst einmal sammeln.
Nach der Geschenkeübergabe erfolgte das Mittagessen. Zwar hatten die beiden Jungs vorhin erst den Kuchen gehabt, aber schon jetzt das nächste essen zu haben, kam ihnen nur recht. Beide dachten sie sich, dass sie heute mal reinhauen könnten, am Geburtstag würde es ja nicht auffallen.
Das Essen war erledigt, da verzogen sich Veit und Sören erstmal in ihr altes Zimmer. Gott sei dank hatten sie ihre Laptops eingepackt, und konnten sich direkt an die Planung machen. Eine komplette Tour würden sie in zwei Tagen keinesfalls fertig geplant bekommen, aber wenigstens den ersten Stopp und die Anreise wollten sie planen. Während Sören sich mit den Zugverbindungen befasste, suchte Veit Hotels für die Reise aus. Als er Sören dann eines zeigte, was einen günstigen All Inclusive Aufenthalt anbot, hatten beide eine hervorragende Idee. Diese Reise sollte es sein. Auf der Fahrt ist genug Zeit, um ein längeres, tiefgründiges Gespräch zu führen. Auf der Fahrt zu ihrem ersten Ziel wollte Veit Sören von seinem Geheimnis berichten. Auf der Fahrt wollte Sören Veit erklären, dass es etwas gab, was er noch nicht wusste. Beide erhofften sie sich, dass der Beginn dieser Reise auch der Beginn eines neuen Abschnitts sein würde. Veit erhoffte sich, dass es ihm dann endlich wieder besser gehen würde, und Sören hielt es für eine sinnvolle Idee.
Mit dem gefassten Entschluss bereiteten sie ihre erste Etappe weiter vor, bis sie zu Kaffee und Kuchen gerufen wurden, und ihre Verwandten zu Besuch kamen.
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