An sich war Florian ein zurückgezogener Mensch und mied soziale Kontakte, wo es über die Arbeit Notwendiges Hinaus ging. Doch ab und an ließ er sich von seinen Freunden dann doch überreden, abends auf ein Bier oder einen Cocktail in die Stadt zu gehen. Wieder einmal hatten sie ihn überredet und so machte sich die Clique, bestehend aus drei Männern und zwei Frauen, in eine Shisha-Bar.
Florian stach in seinem Hemd etwas aus den Outfits der Gruppe heraus, doch für ihn bot solch ein Outfit einen gewissen Schutzraum. Sie nahmen um einen Tisch herum Platz und schauten in die Cocktailkarten. Als ein Kellner kam fragte er jedoch nicht nach den Bestellungen, sondern beugte sich zuerst zu Florian rüber und sagte ihm, hinter verdeckter Hand, etwas ins Ohr. Florian blickte überrascht und schaut dann zur Theke herüber. Von dort prostete ihm ein bekanntes Gesicht mit einem Cocktailglas zu. Florian hob die Hand und grüßte mit einer leichten Geste zurück. Dann gaben sie ihre Cocktailbestellungen auf.
“Was hatte der dir denn da eben zugeflüstert.” fragte Lena, eines der Mädels.
“Sie haben ein Special Happy-Hour Angebot für uns, alle Cocktails für 3 €.” sagte Florian.
“Oh cool, dann kann man ja zuschlagen!” meinte Sebastian, einer der Jungs. “Ob das an deinem Schicken Hemd lag?” scherzte er hinterher.
“Wer weiß...” sagte Florian grinsend und lächelte. In Wirklichkeit hatte ihm der Kellner allerdings etwas ganz anderes gesagt. Herr Karim Vasalla, der an der Bar säße, würde sich freuen ihn und seine Freunde heute als Gäste einladen zu dürfen. Florian hatte darauf zur Bar geschaut und in der Tat saß da Karim und prostete ihm zu.
Die Gruppe machte von dem Happy-Hour-Angebot reichlich Gebrauch und als sie alle schon recht angeheitert waren und der erste sein Portemonnaie zückte, schob Florian es wieder zu ihm zurück.
“Ne lasst mal Leute, der Abend geht auf mich. Jetzt seit ich mein richtiges Beamtengehalt bekomme passt das schon.” Die anderen bedanken sich für die Einladung beim noblen Spender. Florian stand derweil auf und ging zur Theke. Karim saß dort immer noch, war allerdings gerade im Gespräch mit jemandem. Als er Florian auf sich zukommen sah, berührte er seinen Gesprächspartner kurz am Arm, woraufhin der sofort aufstand und ging. Dann lächelte er Florian an und deutete auf den freien Platz neben ihm.
“Vielen Dank für die Einladung.” sagte Florian und nahm schwankend auf dem Barhocker platz.
“Es war mir eine Freude.” entgegnete Karim.
“Dieser Laden gehört Ihnen auch Herr Vas… Vall…” Florians Zunge war schon zu schwer, als dass er Karims Nachnamen flüssig herausbekommen hätte.
“Sagen Sie einfach Karim.” schlug Karim vor.
“Florian.” sagte Florian und streckte Karim die Hand entgegen. “Also das ist dein Laden?”
“Nein, der zur Abwechslung mal nicht.” meinte Karim. “Aber der Besitzer und ich kennen uns gut, daher gehe ich hier abends oft hin, wenn es der Betrieb in meinen anderen Geschäften erlaubt.”
“Ah, auch ein Gastronom braucht mal Freizeit.” sagte Florian lächelnd und stand wieder auf. “Ich muss dann aber mal wieder zurück zu meiner Gruppe, wie gesagt, nochmal vielen Dank für die Einladung.”
“Gerne wieder, du weist ja du bist in meinen Restaurants immer mein Gast.” Karim schüttelte erneut Florians Hand und fasste ihn mit der anderen Hand am Arm. Einen Moment lang blickte er Florian tief in die Augen. Florian blickte zurück und war fasziniert von den dunkelbrauen Augen, die ihn da anschauten. Dann drehte er sich um und ging zu seiner Gruppe zurück.
In der darauffolgenden Woche war Florian recht wenig im Außendienst unterwegs, da es einige Vorgänge in der Behörde zu bearbeiten gab. Nur zwei Kontrollen, eine an einem Marktstand und eine in einer Bäckerei mit Stehcafé, brachten ihn vor die Tür. Er war so busy, dass er selbst seine Mittagspause inhäusig verbrachte. Am Freitag um 13 Uhr konnte er dann aber endlich den Rechner runterfahren, sich Ausstechen und beschwingt ins Wochenende starten. In der Tat kam er sich gerade auch insgesamt leichter vor. Seine Hose saß locker und auch das Hemd flatterte. Wie er vermutet hatte, ein paar Tage und er würde wieder in seine Größe 30 und die kleinere Hemdengröße hineinpassen. Aber ein bisschen Hunger hatte er jetzt doch. Er überlegte, ob er sich ein Baguette nehmen sollte oder etwas richtiges Essen. Während er noch so schlenderte, kam er wieder an die Ecke, wo er neulich in den Hundehaufen getreten war. Hm, wie war das nochmal mit Karims Angebot, immer sein Gast zu sein? Griechisch hatte er schon einige Zeit nicht mehr gegessen, das wäre eine nette Abwechslung. Er schaut von draußen, ob er Karim sehen konnte, doch es war zu dunkel. Nun ja, er würde einfach mal schauen und wenn er nicht da war, würde er sein Essen halt bezahlen, das wäre auch kein Problem. Florian nahm an einem Tisch Platz und gleich kam der Kellner freundlich lächelnd auf ihn zu.
“Ah, herzlich willkommen, Herr Vasalla lässt Ihnen seine Grüße ausrichten. Er ist leider im Moment nicht da, aber er würde sich freuen, wenn Sie sein Gast wären.” Er reichte ihm die Speisekarte und Florian ließ den Blick darüber wandern. Er hatte wirklich Hunger und so bestellte er sich die gemischte Grillplatte mit Pommes Frittes. Während er wartete, ließ Florian den Blick durch das Restaurant zu den anderen Tischen schweifen. Ein Gast in einiger Entfernung bekam gerade sein Essen gebracht und soweit Florian erkennen konnte, hatte er das gleiche bestellt wie er. Auf einem Teller ragten zwei Lammspieße hervor und zwei Bifteki-Röllchen und zwei kleine Kotletts. Daneben stellte der Kellner ein Schüsselchen mit Pommes. Es sah lecker aus und Florian freute sich schon, auf seine Portion. Kurz Zeit später kam seine Grillplatte. Auf dem überladenen Teller fanden sich vier Lammspieße, vier Bifteki und vier Kotletts. Das Schüsselchen mit Pommes war ebenfalls doppelt so groß, wie das bei dem anderen Gast. Florian atmete tief ein, als er diesen Berg Essen vor sich sah, doch es roch sehr gut und schmeckte ausgezeichnet. Er futterte sich durch den Berg aus Fleisch und die Pommes, doch nach einer knappen Stunde musste er kapitulieren. Ein Bifteki und eine Hand voll Pommes ließ er liegen, weil er kurz vor Platzen war. Sein Bauch wölbte sich hervor und das Hemd, eben noch locker, spannte bereits wieder ein bisschen. Der Kellner brachte aber bereits einen Uzo.
“Hat es Ihnen geschmeckt?” fragte er.
“Ausgezeichnet, aber zu viel.” sagte Florian und schob den Teller ein wenig von sich.
“Nun besser als zu wenig.” sagte der Kellner und räumte den Tisch ab. Kurz darauf kam er mit einer der kleinen Ledermappen zurück, in denen die Gäste die Rechnungen gebracht wurden. Florian war verwundert, er hatte sich eingeladen gefühlt. Der Kellner legte die Mappe ab und sagte nur:
“Herr Vasalla freut sich, dass Sie sein Gast waren und lässt herzliche Grüße ausrichten.” Dann drehte er sich um und ging. Neugierig öffnete Florian die Mappe. Darin befand sich anstelle eines Rechnungsbons nur eine schwarze Visitenkarte mit dem Namen ‘Karim Vasalla’ und einer Handynummer darunter. Florian steckte die Visitenkarte ein und stand auf. Beim verlassen des Restaurants winkte ihm der Kellner nochmals freundlich zu.
Ein paar Tage später gingen sie auf der Dienststelle die nächsten Kontrollen durch.
“Also ich würde sagen wir machen mal wieder was bei den Fischrestaurants, da ist immer Handlungbedarf.” schlug die Kollegin von Florian ihrem Chef von.
“Stimmt, das ist nicht verkehrt.” sagte der Chef. “Aber vielleicht nicht nur, nehmt ruhig auch ein paar andere Läden mit rein. Da bin ich neulich an so einem Griechen vorbeigekommen, gar nicht weit von hier. Den könnten wir auch mal überprüfen, die haben ja mit dem ganzen Fleisch auch immer potenzielle Vorschriftverstöße.” Die andern nickten und auch Florian stimmte dem Plan zu, doch er wusste genau, um welchen Griechen es sich handelte. Vielleicht war nun die Zeit gekommen, sich bei Karim für die Einladungen zu revanchieren. Als er draußen auf dem Flur war zückte er sein Handy, nahm die Visitenkarte von Karim aus seinem Portemonnaie und tippte eine SMS:
‘Kontrolle Akropolis am Mittwoch”
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