Florian hatte seine Ausbildung auf der Verwaltung als einer der Besten abgeschlossen. In ihm schlug das Herz eines wahrhaften Beamten. Dienst nach Vorschrift, das war sein Leben. So war es eine reine Formsache, dass er nach seiner Ausbildung auch in den öffentlichen Dienst übernommen wurde, beim Gesundheitsamt in die Abteilung für Lebenmittelkontrolle.
In den ersten Wochen war er viel im Außendienst eingesetzt und begleitete Kollegen bei Hygienekontrollen in der Gastronomie. Florian fand es zum einen faszinierend, welche Ehrfurcht ihm und seinen Kollegen auf diesen Einsätzen von den Gastronomen entgegengebracht wurde, gleichzeitig schauderte es ihn aber auch das ein oder andere Mal, wenn die Zustände zu schlimm waren. Doch das war zum Glück meist die Ausnahme. In 90 Prozent der Fälle mussten die Restaurants nur kleinere Nachbesserungen vornehmen und schon bei der Nachkontrolle am nächsten Tag war alles wieder den Vorschriften entsprechend. Manchmal kam es jedoch vor, dass die Hygienemängel gravierender waren und sie den Betrieb für einige Tage schließen mussten. Eigentlich verdarben einem solche Fälle den Appetit, aber gleichzeitig genoss Florian auch die Macht, die er, beziehungsweise seine Behörde, in diesem Moment über die Inhaber ausüben konnte. Da kam eine kleine sadistische Ader in ihm durch.
Bei den Erstkontrollen am Tag waren sie meist zu zweit unterwegs, Nachkontrollen und unangekündigte Kontrollen außerhalb der Öffnungzeiten des Amten konnten auch schon einmal alleine durchgeführt werden. So machte Florian auf dem Nachhauseweg gerade noch eine Nachkontrolle in einer Dönerbude, die sie gestern untersucht hatten.
“Soweit alles in Ordnung.” murmelte er während er nach unten auf seinen Block schaute und mit dem Kuli abhakte. Da fiel sein Blick plötzlich auf den Putzeimer, der neben der Tür stand. “Wieso steht hier Reinigungsgerät im Küchenbereich?” fragte er und blickte den Besitzer kritisch an.
“Wenn wir etwas schnell putzen müssen, dann müssen nicht immer in die Putzkammer.” warf der Koch ein. Florian schüttelte den Kopf.
“Nein, das dürfen Sie nicht hier stehen lassen. Reinigungsutensilien und Lebensmittel sind getrennt voneinander aufzubewahren.”
“Aber es ist nur ein Puteimer”, versuchte sich der Besitzer zu verteidigen. “die Reinigungsmittel stehen ganz wo anders.”
“Reinigungsmaterialien sind Reinigungsmaterialien.” sagte Florian. Es war in der Tat Erbsenzählerei, diese Vorschrift so exakt auszulegen, aber das war es, was ihm an seinem Job gefiel. “Dann werde ich morgen wohl nochmal vorbeikommen müssen.” sagte Florian und wollte sich schon umdrehen. Doch der Besitzer blickte ihn flehend an.
“Bitte, ich werde es sofort bereinigen. Setzen Sie sich einen Moment, essen Sie, sie sind eingeladen. Dann können sie danach gleich wieder kontrollieren.” Er gab dem Koch ein Zeichen und der fing an, am Dönerspieß zu schneiden. Florian überlegte einen Moment. Er hatte sowieso noch nichts gegessen und eigentlich war hier was die Lebensmittel anging immer alles Tadellos gewesen. Er überschlug schnell im Kopf, ob es in den Verwaltungsvorschriften eine Vorteilsannahme für eine Essenseinladung unterhalb eines Betrags von 25 € gab, doch ihm fiel auf die Schnelle nichts ein. Nun denn, sollten sie ihm halt etwas Leckeres machen und dafür würde er sich den erneuten Gang hier herüber morgen sparen.
Florian nahm an einem der Tische Platz und wenige Minuten später kam der Chef höchstpersönlich und präsentierte ihm einen Dönerteller mit einem Berg Pommes und allerliebst angerichtete Salatgarnitur. Die Portion war sehr reichlich, aber ein Blick auf die Speisekarte verriet Florian, dass es, selbst wenn er den doppelten Betrag eines Dönertellers ansetzte, immer noch unterhalb der Bestechunggrenze lag. Nachdem er gespeist hatte brachte ihm der Chef ungefragt einen türkischen Tee und lächelte freundlich. Er war ganz in schwarz gekleidet, vielleicht Anfang 30, schlank und mit muskulösen Oberarmen. Ein Typischer Südländer eben. Vermutlich war er gar nicht der Inhaber des Ladens sondern nur dessen Sohn. Florian trank den Tee, dann stand er auf und ging erneut hinter die Theke und in die Küche. Der Putzeimer war verschwunden. Er öffnete alle Unterschränke aber auch hier war kein Reinigungmaterial zu finden.
“Sehen Sie, es geht doch.” sagte er zufrieden und nickte dem jungen Chef zu. Der machte eine angedeutete leichte Verbeugung und bedankte sich. Auf dem Heimweg merkte Florian, dass er sich an dem riesigen Dönerteller eindeutig überfressen hatte. Doch die Qualität, und vor allem die hygienischen Standards, waren hervorragend.
Einige Tage später kontrollierten Florian und sein Kollege eine Pizzeria. Zu Florians Überraschung war der Inhaber der gleiche wie in der Dönerbude.
“Ach, Sie haben gewechselt?” fragte Florian verwundert.
“Nein nein”, sagte der Mann. “mir gehören mehrere Restaurants, türkisch, italienisch, griechisch - die Küchen des Mittelmeers harmonieren sehr gut.” Das verwunderte Florian nun doch, denn er hatte ihn nicht als Chef einer ganzen Restaurantkette vermutet. Er blickte kurz auf das Formular und las sich die Angaben durch. ‘Karim Vasalla’ hatte der Mann dort als Namen eingetragen. Wenn er wieder im Büro war müsste er unbedingt einmal in Datenbank des Gewerbeamts schauen, wo der noch überall seine Finger drin hatte.
Bei der Kontrolle war soweit alles in Ordnung, aber als sie schon fast durch waren, fiel Florian dann doch etwas auf, was ihn zum erneuten Widerkehren veranlasste. Am Tag darauf, diesmal um die Mittagszeit, betrat Florian das Restaurant. Sogleich kam der Kellner auf ihn zu und begrüßte ihn überschwänglich.
“Signore, bitte nehmen Sie Platz. Der Chef würde sich freuen, wenn Sie sein Gast wären.” Florian fühlte sich etwas überrannt und so folgte er der Einladung des Kellners und nahm an einem Tisch Platz. Sogleich brachte ihm der Kellner die Speisekarte, es war eine Damenkarte, also ohne die Preise. ‘Geschickt’, dachte Florian. ‘aber formal korrekt.” Er überlegte, ob er so dreist sein konnte eine Vorspeise und einen Hauptgang zu bestellen, aber andererseits - wenn man ihn hier schon so dreist zu bestechen versuchte, dann sollte es den Inhaber auch etwas kosten. Er bestellte also die Antipasti als Vorspeise, dann eine Lasagne und als Dessert noch ein Tiramisu. Dazu genehmigte er sich ein Wasser, immerhin war er ja noch im Dienst.
Blitzschnell kamen alle Gänge und Florian war wirklich begeistert, von den Portionen. Er schaffte es kaum noch, das Tiramisu zu essen, doch mit einem kleinen Päuschen, in dem er sich einen Espresso bringen ließ, klappte es dann doch. So gesättigt machte er sich dann an die Arbeit, ging in die Küche, kontrollierte den Mängel, den er gestern festgestellt hatte, und verließ wieder das Lokal.
Als eine weitere Angenehmheit an dem Beruf eines Beamten empfand Florian den Kleidungsstil. Auf der Arbeit trug er immer Hemd und Anzugshose, dazu manchmal sogar Krawatte und Sakko. Seit er jetzt vom Auzubildendengehalt in A-11 gewechselt war, konnte er sich gleich etwas höherwertigere Kleidung leisten. So schlenderte er gerade durch die Anzugabteilung eines Bekleidunghauses und suchte sich einige Stücke aus. In der Umkleidekabine entkleidete er sich bis auf die Unterhose uns zog zunächst das neue Hemd an.
“Na, was is denn damit?” wunderte er sich. Das Hemd war doch Größe 38, kein Slim-Fit und trotzdem spannte es beim Zumachen ein bisschen um den Bauch. Naja, dachte Florian, andere Marke, anderer Schnitt. Er ließ das Hemd jetzt erstmal Spannen und schlüpfte in die 30er Hose. Auch hier wurde es ein bisschen knapp und er musste richtig ziehen, um den Knopf zu schließen. Er drehte sich um und betrachtete sich im Spiegel. Sein Arsch füllte die Hose prall aus, sonst war der Stoff immer locker gewesen. Auch das Hemd spannte über Bauch und Brust, und das schon im Stehen. Seltsam, sollte er etwas zugenommen habe? Florian zog die Sachen wieder aus und betrachtete sich ganz genau. Er zog den Bauch ein, ließ ihn locker, presste ihn heraus. Naja, ein bisschen Speck war da schon dazugekommen, aber das waren vieleleicht ein oder zwei Kilo. Für den Moment half ihm das aber nichts, er brauchte jetzt Klamotten und so nahm er notgedrungen die Hose in Größe 32 und das Hemd in 39-40. War zwar eigentlich eine Schande, weil ihm die Sachen in zwei oder drei Wochen, wenn er den Speck wieder verloren hatte, dann zu groß wären.
Auf dem Nachhauseweg kam er an einem griechischen Restaurant vorbei und erblickte durch Zufall dem ihm schon bekannten Karim Vasalla im Eingang. Aha, dachte Florian, das ist also auch einer seiner Läden. Das scheint ja ein richtiger Clan zu sein. Während er so in den Laden schaute merkte er nicht, wie er in einen Hundehaufen trat, der vor ihm auf dem Bürgersteig lag. Erst als sein Fuß in dem weichen Haufen ein Stück rutschte, blickte er nach unten.
“Ach so eine verdammte…” aussprechen, in was er da getreten war, musste er gar nicht mehr. Er blieb stehen und hob den Fuß vorsichtig an, wobei er wie ein Flamingo auf einem Bein balancierte. Alles voll, das ganze Profil war mit Hundekacke beschmiert. Er blickte sich um, ob es irgendwo einen Grasstreifen gab, an dem er sich den Schuh hätte abwischen können. Doch es gab nichts. Wie er da noch so herumstand, kam auf einmal Karim herausgeeilt.
“Ach herrje, diese Hunde auch immer.” rief er. “Warten Sie, ich bringe Ihnen Servietten.” Er drehte sich um und war wenige Augeblicke mit einem Stapel Servietten wieder vor der Tür.
“Danke sehr.” sagte Florian und fing an sich den Schuh zu reinigen.
“Die Leute lassen ihre Hunde aber auch überall hinmachen.” fluchte Karim. “Und meine Gäste werden dadurch vertrieben. Die Stadt sollte einfach mehr von den Hundeklos einrichten und diese Ständer mit Tüten aufhängen.”
“Ich werde die Anregung weitergeben.” sagte Florian. Dann nickte er Karim kurz zu und ging weiter. Die Servierten schmiss er einige Meter weiter in einen Mülleimer.
Kommentare