“Sehr wohl, Euer Majestät, wie Euer Majestät es wünschen.” Der Koch verbeugte sich tief und ging rückwärts aus dem Raum. Auf dem Gang drehte er sich um und lief geschwind, so es ihm seine rundliche Figur eben erlaubte, zurück in die Küche.
Der Kaiser hatte ihn in den letzten Wochen ja schon mit allerlei seltsamen Wünschen beauftragt, also wunderte er sich gar nicht mehr. Was er den Gänsen zu Fressen gebe, um sie zu mästen, hatte er gefragt. Der Koch schilderte ihm, wie die Mast der Gänse ablief, welche Zutaten er zu einem Getreidebrei verrührte und wie er sie dann mit einem Trichter stopfte. Dann wollte der Kaiser wissen, was es an Speisen gäbe, die zu Verstopfung führten. Auch hier gab der Koch nach bestem Wissen Auskunft. Nun wollte seine Majestät all dies in sein Gemach gebracht haben. Unten in der Küche angekommen trommelte der Koch seine Köche und Küchenjungen zusammen. Jeder bekam eine Aufgabe und alsbald machten sie sich daran, große Töpfe mit Mastfutter anzurühren. Was der Kaiser damit vor hatte, welches Tier er da in der Nebenkammer seines Schlafzimmers gefangen hielt und mästete, das konnte der Koch nur spekulieren. Vielleicht ein kostbares Wollschwein? Oder mehrere Edelkapaunen?
Gregor bereitete unterdessen Hans für die intensivste Mast seines Lebens vor. Er schilderte ihm, wie er einen Trichter in seine Speiseröhre einführen und ihn mit Mastbrei vollstopfen würde. Während der letzten 24 Stunden gäbe es verstopfendes Essen, so dass sein ganzer Darm und Verdauungstrakt bis zum Bersten gefüllt werden könnten. Beide konnte nur hoffen, dass das genügen würde.
Der erste Versuch mit der Trichtermast gestaltete sich noch als etwas schwierig. Gregor konnte Hans zwar das Rohr einführen, aber er schüttete zu viel Brei auf einmal hinein, so dass Hans’ Magen den aufgebauten Druck gleich wieder nach oben abließ und der Brei Hans aus dem Mund schoss. Bei den nächsten Versuchen klappte es aber besser. Gregor hatte schnell den Rythmus raus, wie er er kippen musste und wieviel Zeit er Hans’ Magen zum Weitertransport gab. Bei dem großen, fetten Bauch, den Hans mittlerweile hatte, konnten sie kaum abschätzen, wieviel dicker er wurde. Aber nach zwei Tagen setzte Gregor dann zur Sicherheit die verstopfenden Breie ein. Hans spürte nun, wie der Druck in seinem Unterbauch kontinuierlich anstieg, doch er konnte nicht mehr zur Toilette gehen. Der Druck war zunächst schmerzhaft, doch dann merkte er, wie er nachließ. Sein Darm schien sich zu dehnen. Gregor rechnete im Kopf grob mit, was er ihm oben an Masse einflößte. Als er der Meinung war, dass sie die 15 Kilo jetzt erreicht haben müssten, schob er die Waage an das Bett heran und half Hans, aufzusehen. Der konnte sich kaum auf den Beinen halten, so voll war er und so sehr hatten seine Muskeln abgebaut. Doch als Gregor ihn einen Moment loslies und er frei stand, zeigte die Waage tatsächlich 202 kg.
“Dschinni, schnell herbei!” rief Gregor und mit einem leichten Puff schwebte der Geist im Zimmer. “Wir haben es geschafft, Hans hat die 200 kg überschritten.”
“Ich bin begeistert.” sagte der Dschinn und musterte gleichzeitig Hans’ blassen Gesichtsausdruck. “Wie lange denkst du denn, dass er es innehalten kann?”
“Je schneller wir es hinter uns haben, desto besser”. stöhnte Hans, der sich wieder gesetzt hatte, und griff sich auf den prallen runden Bauch.
“Gut, dann schnell auf in den Thronsaal.” sagte der Dschinn zu Gregor. “Lass das Volk ausrufen und sich auf dem Platz vor dem Balkon versammeln. Deine Diener sollen schon einmal die Waage bereitstellen und ich kümmere mich um unseren Fluchtweg.”
“Fluchtweg?” fragte Gregor. Dann fiel ihm wieder ein, dass sie augenblicklich das Königreich verlassen mussten, wenn die Aufgabe erfüllt war. Er ging in sein Arbeitszimmer und läutete den Dienern. Hans begann, sie ein wenig einzukleiden. Dann warf er sich ein Betttuch über, worin er wie ein dickes Gespenst aussah, und watschelte nach draußen. Die Diener hatten bereits die Sänfte bereitgestellt und auf den Befehl des Kaisers die Blicke zur Tür gewandt. Sie hörten nur ein Tapsen hinter sich und als sie sich umdrehten, saß in der Sänfte ein weißer Berg, verhüllt mit einem Betttuch. Was genau sich darunter befand, ein Tier oder was auch immer, konnte sie nicht erraten.
Jetzt ging alles sehr schnell. Gregor eilte den Flur entlang zum Thronsaal und seine mehr als 210 kg erschienen ihn in diesem Augenblick so leicht, wie schon lange nicht mehr. Die Sänftenträger mussten sich beeilen, um ihm folgen zu können. Auf dem Balkon des Schlosses hatte der Schlossverwalter bereits die Minister zusammengetrommelt die nun stramm in Reih’ und Glied standen. Neben ihnen war die große Waage aufgebaut. Es gab lediglich eine Schale, auf die man sich stellen konnte und darüber ein Zeiger.
Als der Kaiser den Balkon betrat, verbeugten sich zuerst die Minister und dann das Volk, was in Scharen den Platz füllte. Der Herold gab den Fanfarenbläsern ein Zeichen, woraufhin die schallende Töne erklingen ließen. Dann war einen Moment Stille und Gregor trat an die Brüstung des Balkons. Sein Bauch war so dick, dass er ihn einen guten halben Meter Abstand halten ließ, doch durch ein kleines Podest stand er erhöht und wurde so von einen Untertanen gut gesehen. Auf dem Weg hierhin hatte sich Gregor überlegt, wie er zum Volke sprechen sollte, doch als er nun an Hans’ schmerzverzerrtes Gesicht dachte, entschied er sich für einen kurze, schnelle Ansprache.
“Geliebtes Volk.” fing er an doch sogleich brach tosender Applaus aus, dass er wieder pausieren musste. Der Herold blickte streng nach unten und gleich breitete sich wieder Ruhe aus. “Geliebtes Volk.” wiederholte Gregor seine Worte. “Ich durfte lange Zeit an Eurer Spitze stehen und habe mich stets mit all meiner Kraft dem Königreich aufgeopfert.” Diese pathetischen Reden hätte auch jeder Politiker halten können. “Doch soeben ist jemand in unserem Königreich erschienen, der angibt diese Führungsrolle besser ausüben zu können, da er von noch royalerem Stand ist, als ich es bin.” Ein Raunen ging durch die Menge. Gregor drehte den Kopf und gab Hans ein Zeichen, woraufhin dieser sein Tuch von sich warf. Aus dem Raunen wurde ein Tuscheln. Hans schritt nach vorne auf die Waage zu, doch da eilte der in Gold und Silber gekleidete Erste Minister zum Kaiser und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Gregor schmunzelte und drehte den Kopf zu Hans. Seine Lippen formten Worte, ohne dass ein Ton heraus kam. Doch es war nur ein Wort und Hans verstand es sofort. Er streifte seine Hemd und seine Hose ab und stieg nackt auf die Waagschale. In diesem Moment herrschte eine solche Stille, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Alle starrten nach oben auf die Anzeige, doch weil man sie von unten nicht lesen konnte, traten nun zwei der Minister vor die Anzeige. Sie blickten nach oben und berieten sich kurz. Dann traten sie zum Herold und verkündeten ihm ihr Ergebnis. Der Herold gab den Fanfarenbläsern wieder ein Zeichen und diese bliesen heftig in ihre Instrumente. Gregor schritt von dem kleinen Podest und machte Platz für Hans, der nun mit weit ausgebreiteten Armen das Volk grüßte. Die Menge applaudierte und jubelte und hieß ihren neuen Herrscher willkommen. Gleichzeitig nutzte Gregor die Gelegenheit, bereits nach hinten vom Balkon abzutreten. Im Raum dahinter war im Moment niemand, so konnte er den Dschinn sofort sehen. Er hatte einen großen Spiegel aufgestellt und winkte Gregor heran.
“Schnell schnell, komm.” Gregor stellte sich vor den Spiegel und wollte das Glas berühren, denn es erschien ihm von einer unglaublichen Reinheit wie er es noch nie gesehen hatte. Doch der Dschinn hielt ihn zurück. “Noch nicht, erst brauchen wir auch Hans.”
Hans ließ sich noch einige Augenblicke von der Masse Feiern, doch als er merkte, das Gregor den Balkon bereits verlassen hatte, ging auch er zurück in den Thronsaal. Auch die Minister hatten sich jetzt hier versammelt und waren sichtlich überrascht, diesen Spiegel und einen orientalisch gekleideten Mann vorzufinden. Gregor winkte Hans zu sich heran und der watschelte, so schnell es ihm seine 202 kg ermöglichten, auf den Spiegel zu. Als beide davorstanden blickte der Dschinn sie ernst an.
“Ihr habt die zweite Prüfung geschafft, dazu erst einmal Gratulation. Doch jetzt müsst ihr mir genau zuhören. In der Welt, die euch hinter dem Spiegel erwartet, kann ich nicht bei Euch sein. Also müsst ihr eure Aufgabe alleine lösen. Ihr müsst den goldenen Löffel finden. Was ihr damit anstellen müsst, weiß ich nicht, das sind alle Informationen, die ich habe. Ich wünsche Euch viel Glück und jetzt los, tretet zusammen durch den Spiegel.” Hans und Gregor zögerten noch einen Moment, doch als sie hinter sich Stimmen vernahmen und merkten, dass die Minister unruhig wurden, fassten sie sich beide an den Händen und traten nach vorne. Das vermeintlich reine Spiegelglas war in Wirklichkeit etwas wie Wasser. Es fühlte sich kalt, an als sie hindurchtraten und zunächst konnten sie nichts sehen. Doch dann waren sie auch schon auf der anderen Seite. Das Spiegelportal hatte sie irgendwo hin gebracht. Gregor drehte sich um, doch hinter sich erblickter er nur einen Spiegel, der den Raum reflektierte, in dem sie gerade standen. Das Glas war normal, wie Spiegelglas und als er es anfasste, war es hart. Der Rückweg war das jedenfalls nicht. Er drehte den Kopf wieder und blickte sich in dem Raum um. Überall waren Regale über und über voll mit Büchern. Sie waren in einer riesigen Bibliothek gelandet.
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