Übervoll und kurz vor dem Erbrechen
stopfte sich Gregor die letzte Kartoffel in den Mund und ließ sie
einfach nur noch langsam zu Brei aufweichen, den er qualvoll
heruntersog. Die Umrisse der Tür waren bereits deutlich zu erkennen
und nachdem er ein letztes Mal angestrengt geschluckt hatte, löste
sich auch die letzte Fessel, die ihn noch am Stuhl hielt.
Doch er war
noch zu voll, um aufzustehen und zur Tür zu gehen, erst musste er
einige Minuten schwer atmend verharren. Außerdem drückte ihn ein
dringendes Verlangen nach Erleichterung und er fing an zu überlegen,
in welcher Ecke des Raumes er am besten sein Geschäft erledigen
sollte. Im Grunde hätte er auch mitten auf den Tisch scheißen
können, hier war ja anscheinend sowieso niemand und falls er damit
doch jemandes Aufmerksamkeit erregen würde - umso besser. Doch er
entschied sich zuvor wenigstens einen Blick hinter die Tür zu
werfen. Unter größten Anstrengungen richtete er sich auf und hielt
sich den prall angeschwollenen Wanst, während er Schritt für
Schritt auf die Tür zu watschelte. Er öffnete sie ein paar
Zentimeter und erblickte bereits den nächsten Raum, wie es schien
erneut fenster- und türenlos. Doch die Einrichtung war anders. In
diesem Raum befand sich kein Tisch sondern eine Liege und tatsächlich
auch eine gekachelte Bad-Ecke mit Toilette und Duschkopf. Erleichtert
stürzte er nun zur Toilette und legte sich danach erst einmal zu
einem Verdauungsschläfchen auf die Liege.
Er verbrachte eine unbestimmt Zeit
traumlosen Schlafes, bis er schließlich erholt und entspannt wach
wurde. Es dauerte einen Moment, bis er wieder wusste, wo er sich
befand. Der Raum schien sich während seines Nickerchens nicht
verändert zu haben. Doch! Die Tür war gewandert. Sie befand sich
nun an der andern Seite und wo er zuvor den Raum betreten hatte war
nun eine geschlossene Wand. Die Neugier trieb ihn direkt zu dieser
Tür, deren Griff er nun mit zittriger Hand herunterdrückte. Was,
wenn dahinter wieder nur ein Raum und vielleicht wieder so ein
magischer Tisch standen? Aber hatte er eine Wahl? Wie in Zeitlupe
öffnete er die Tür um mit pochendem Herz den nächsten Raum zu
betreten. Er sog einige tiefe Atemzüge ein, während er noch im
Türrahmen stand. Dann schloss er die Tür hinter sich, die sich
augenblicklich wieder in massive Wand verwandelte und schritt nach
vorne auf den Stuhl zu. Er pflanze sein mittlerweile üppiges
Hinterteil auf die gepolsterte Sitzfläche und lies die Schlingen
widerstandslos ihr Werk tun. Ein bisschen gespannt war er ja schon,
was der Tisch ihm diesmal vorsetzen würde.
Gregor konnte nicht abschätzen, wie
lange dieser Rhythmus aus Essensräumen und Ruheräumen nun schon
dauerte. Es konnten Tage, oder auch Wochen sein. Anfangs hatte er
noch gezählt, aber es war sinnlos. An die hundert gedeckte Tische
musste er bereits leergegessen haben. Alle zwei bis drei Räume kam
ein Ruheraum mit Toilette und Dusche. Er dachte während der ersten
paar Räume noch an Flucht- und Auswege, doch irgendwann resignierte
er und konzentrierte sich nur noch mechanisch auf möglichst
schnelles und effizientes Herunterschlingen der Mahlzeiten und das
durchqueren der Räume. Sein ursprüngliches Handtuch hatte er in
irgendeinem der Räume zurückgelassen, denn neben den Duschen hing
immer ein frisches, dass er sich zuweilen um die Hüften band.
Manchmal lief er aber auch über mehrere Räume nackt herum, da es
sowieso angenehm warm war und er sich ja auch vor niemandem verhüllen
musste. Das einzige Messwerkzeug für die vergangene Zeit war sein
wachsender Körper. Sein Bauch hatte beträchtlich an Umfang
zugenommen und lag mittlerweile im Sitzen als fette Kugel auf seinen
Schenkeln. Seine Brüste hatte bestimmt schon B- oder C-Größe
erreicht und bildeten eine Falte zu seinem Bauch, unter der sich
schnell Schweiß ansammelte. Auch seine Schenkel berührte sich beim
Gehen, was er zum Glück immer nur ein paar Schritte beibehalten
musste. Er schlief mittlerweile in Seitenlage, weil sein immervoller
Bauch ihm in Rückenlage zu sehr auf die Atmung drückte. Auch stütze
er sich zunehmends beim Aufstehen aus den Stühlen oder nach dem
Aufwachen aus dem Bett auf, um das Gewicht zu verteilen. Das einzig
Angenehme an diesem Leben war, dass er sich durch die köstlichsten,
exotischsten Speisen schlemmen konnte, die er jemals probiert hatte.
Bald war ihm nämlich aufgefallen, dass die Gerichte in einer präzise
abgestimmten Reihenfolge kamen, so dass immer genau das was die
vorhergegangene Mahlzeit am besten ergänzte, folgte. Auch hatte er
mit der Zeit immer weniger Probleme die Portionen herunterzukommen,
da sein Magen durch die Dauerbefüllung um Einiges gedehnt worden
war. Genau gekommen war es mittlerweile wie ein andauerndes,
exquisites französisches Abendessen mit vielen Gängen, die sich
über Stunden zogen und gelegentlichen kleinen Ruhepausen dazwischen.
Er begann sich mehr und mehr auf das Essen zu konzentrieren und
betrachtete die Lebensmittel genauer. So begann er mit sich selbst
innere Monologe, die ihn die Isoliertheit seines Alltags vergessen
ließen.
Als er sich gerade mit dem letzten
Bissen eines Schokoladeneclairs von seinem aktuellen Fesselstuhl
befreit hatte und zur Tür watscheln wollte, geschah etwas bisher
noch nicht Dagewesenes. Noch während er im Raum war, verschwanden
Tisch und Stuhl. Er blieb stehen und blickte sich um, doch auf einmal
drehten sich die Wände an jeder Seite und gaben den Blick auf den
Raum dahinter frei. Er war zunächst geblendet, denn von außerhalb
strahlte ein viel stärkeres Licht ein. Dann erkannte er jedoch
langsam die Konturen des Raumes. Es handelte sich um einen langen,
schlauchartigen Saal mit hoher Decke. Überall waren Kerzen und es
umströmte ihn eine warme Luft. Er überlegte, an was ihn dieser Raum
erinnerte und da wurde es ihm schlagartig bewusst. Er begann zu
stapfen, so schnell seine Füße seinen mittlerweile stark
übergewichtigen Körper tragen konnten. Je konkreter er das Ende des
Raumes erkennen konnte, desto schneller lief er. Ja, das war sein
Mantel, der da an der Seite hing und das war das Portal, durch das er
diesen Haus des Schreckens betreten hatte. Er war wieder am Eingang
angelangt. Hier hielt er inne um zu verschnaufen. Unter der Tür
strömte ihm kalte Luft entgegen, draußen schien es also immer noch
Winter zu sein. Er griff zum Mantel und schlüpfte hinein. Auf dem
Hinweg hatte er ihn noch locker geschlossen bekommen, jetzt schaute
sein Bauch dazwischen um einige Handbreit hervor. Von dem kleinen
Sprint hatte sein Herz angefangen zu Rasen, und so atmete er erst
einmal eine Minute lang durch, bevor er die Hand an den Türgriff
legte. In dem Moment, als seine Finger das Metall berührten schoss
ein Windstoß durch die Halle, der alle Kerzen erlöschen ließ.
Erschrocken blickte Gregor sich um und sah in der Ferne der Halle
zwei Lichtpunkte wabern. Bruchteil von Sekunden später klang auch
schon hallendes Hundegekläff an sein Ohr. Da kam etwas hinter ihm
her und wollte ihn an Verlassen hindern. Mit aller Kraft riss er die
Tür auf und stürzte hinaus in die Kälte. Der Schnee umwehte ihn
und er konnte kaum zehn Meter vor sich sehen, doch das lauter
werdende Kläffen von hinten trieb ihn an. Er rannte blind in die
Dunkelheit und hastete so schnell ihn die Beine trugen durch den
Wald. Seine Atmung ging hechelnd und sein Kopf schwoll an vor Blut,
das sein Herz durch seien Körper pumpte. Lange würde er dieses
Tempo nicht durchhalten können, doch er musste versuchen so weit wie
möglich von diesem Schloss wegzukommen. An den Innenseiten seiner
Schenkeln rieb der Speck aneinander, der so viele Schritte
hintereinander nicht gewohnt war. Zum Glück tropfte ihm vom
Oberkörper so viel Schweiß nach unten, dass die fetten Schenkel von
einem Flüssigkeitsfilm getrennte waren und die Haut vom
durchscheuern bewahrt wurde. Das Kläffen hinter ihm wurde lauter und
er ahnte schon, dass ihn das Tier gleich eingeholt haben würde.
Plötzlich tat sich vor ihm ein Licht auf. Er erkannte noch nicht,
was die Quelle des hellen Scheins war, doch er kämpfte sich, nun
mehr stapfend als laufend, voran. Sein Herz schlug bis kurz vorm
Platzen und seine Atmung keuchte. Das Licht wurde heller und heller
und da erkannte er auf einmal eine Lichtung im Wald. Dort musste es
taghell sein und auch der Schnee schien nicht bis dort hin
vorzudringen. Nein, das hier war nicht mehr der Wald, in dem er
seinen Sprint vor wenigen Augenblicken gestartet hatte. Plötzlich
meinte er rechts an ihm etwas großes Weißes blitzschnell
vorbeihuschen gesehen zu haben, doch dass musste eine Täuschung
gewesen sein. Auf einmal war es still um ihn herum, das Hundegebell
hinter ihm hatte aufgehört und er verlangsamte seinen Schritt, denn
viel weiter konnte er nicht. Langsam stapfend schritt er die letzten
Meter durch den Wald bis an den Rand der Lichtung. Doch was sah er
da? Vor ihm auf dem Boden lag ängstlich zusammengekauert – Hans.
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