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Es war einmal...

Hans spürte wie die Kraft in einer Hand schwand. Die verkrampften Finger wurden schon weiß, sein Arm begann zu zittern. Mit aller Kraft reckte er den anderen Arm so weit nach oben, wie es ihm möglich war. Da endlich bekam er die Hand von Gregor zu fassen und dieser konnte ihn so weit nach oben ziehen, dass seine Füße wieder Halt fanden und er auch die verkrampfte Hand lockern konnte.

„So, das Schwierigste hätten wir ja dann geschafft.“ sagt Gregor lobend als Hans schließlich neben ihm auf dem Felsvorsprung saß. Die beiden waren nun schon seit zwei Wochen unterwegs in den kanadischen Wäldern und nutzen auf ihrer Tour jede Kletterherausforderung, die sich bot. Während des Semesters schafften sie es meist doch nur in die Kletterwand der Turnhalle am Campus, weil die Zeit und das Geld es nicht zuließen, in die nächstgelegen Klettergebiete zu fahren. Was das anging war Oldenburg ein suboptimaler Studienort. Aber nachdem sie das Semester über ordentlich gejobbt hatten und genug Geld für die Flüge zusammengekratzt, konnten sie nun zwei Monate lang das Nachholen, was sie zuhause so vermissten. Klettern in der freien Natur.
Für heute würde keine größere Etappe mehr anstehen, die Felswand hatten sie erklommen und so langsam dämmerte es auch, so dass sie sich nach einem geeigneten Nachtlager umsehen mussten. Einfach das Zelt irgendwo aufstellen war nicht ratsam. Nicht, dass die Gefahr bestand dass Bären oder Wildkatzen über sie herfielen, dazu war diese Gegend mittlerweile zu sehr von Menschen bevölkert. Doch das Wetter konnte gerade hier in den Bergen schnell umschlagen und ein fester Untergrund, der sich nicht beim ersten Regen in Sumpf verwandelte, war Voraussetzung. Etwa zwei Meilen weiter im Wald fanden sie dann eine solche Stelle, unter einem Felsvorsprung gelegen, leicht abschüssig.
„Ich schau mal ob der Bach da hinten zum Angeln taugt.“ Meinte Gregor zu Hans, der sich um den Zeltaufbau kümmerte. Keine 100 Meter von dem Platz entfernt hatten sie seinen Bach entdeckt, eigentlich schon einen kleine Fluss, was die Wassermenge anging, und da gab es vielleciht Fische. Hans hatte gerade das Hauptgestänge fertig und wollte die Neoprenhaut über das Zelt ziehen, als er ein lautes Platschgeräusch hörte. Er horchte, ob er Gregor fluchen hörte, denn das konnte nur bedeuten dass er wieder einmal den Fisch verfehlt hatte und dabei selbst im Wasser gelandet war. Aber es kam kein Fluchen. Stattdessen Kaltschgeräuche, wie als würde jemand auf das Wasser einschlagen. Das musste Hans sich ansehen, wie Gregor da mit den Fischen im Wasser kämpfte und sie ihm wohl wieder und wieder aus der Hand glitten. Er ging in Richtung des Baches, doch als er näher kam sah er wie etwas Blaues auf dem Wasser trieb und sich immer weiter entfernte. Er lief ans Ufer und sah noch gerade, wie Gregor von dem Wasser um die Flussbiegung getragen wurde. Der Bach war tiefer und reißender, als er ihn vorhin wahrgenommen hatte und Gregor gelang es anscheinend nicht, gegen die Strömung anzuschwimmen. Hans blickte sich um, ob er am Ufer nebenherlaufen konnte um ihn an einer Stelle weiter unten herauszuziehen. Doch die Hänge waren mit Gestrüpp versperrt, so dass er ihn nicht mehr erwischen würde. Ohne weiter nachzudenken sprang er ins Wasser und versuchte Gregor einzuholen. Er war der bessere Schwimmer von beiden doch diese Strömung war tückisch. Etwa 100 Meter vor sich sah er Gregor, der immer noch damit kämpfte sich über Wasser zu halten und keine Chance hatte, sich durch Schwimmbewegungen ans Ufer zu schaffen. Zumal der Fluß breiter und breiter wurde und sich an einer Gabelung mit einem zweiten Arm zu einem noch größeren vereinte. Hans setzte zum Kraulschwimmen an, doch das Wasser war noch zu unruhig, als dass er dadurch Strecke gutmachen konnte. Die Entfernung zu Gregor vergrößerte sich sogar noch. Endlich war der Fluss so ruhig aber zugleich auch so groß, dass er nicht mehr nur gegen die Strömung ankämpfen musste und losschwimmen konnte. Als er Gregor erreichte waren sie schon fast zwei Meilen Flussabwärts getrieben und bis sie dann beide am Ufer waren, war nochmal eine gute halbe Meile hinzugekommen. Prustend und hustend schnappte Gregorals erstes wieder nach Luft. Sein Kopf lief rot an und es dauerte einige Minuten, bis er wieder sprechen konnte. Hans fing schon einmal an, sich die nassen Kleidungsstücke auszuziehen und half Gregor zumindest Obenherum frei zu werden. Es war zum Glück noch so warm, dass sie sich nicht gleich eine Erkältung holen würden, ein paar Minuten nackt auf dem Rücken liegen und sie wären wieder trocken.
„Mensch Du machst Sachen!“ sagte Hans als Gregor wieder halbwegs zur Besinnung gekommen war. „Das hätte ne ganz schön brenzlige Situation werden können.“
„Ich würde vorschlagen beim nächsten mal Übernimmst du die wassernahen Tätigkeiten und ich baue das Zelt auf.“ konterte Gregor trocken.
„Ob Wasserschäden eigentlich unter die Garantie fallen?“ meinte Hans und hielt sein durchnässtes Handy mit zwei Fingern vor sich.
„Akku und Simkarte raus und auf ein Wunder hoffen, würd' ich mal vorschlagen.“ Hans richtete sich auf und blickte den Fluss hinauf. „Wenigstens hab ich meines vor meinem Bad ans Ufer gelegt. Mal gespannt ob es noch da liegt, wenn dir da in der tiefen Nacht wieder ankommen.“ Es war mittlerweile tatsächlich Abend geworden und um sie herum schienen die Bäume auch besonders dicht zu stehen, so dass es noch um Einiges dunkler war.
„Ja lass uns mal so langsam aufbrechen.“ sagte Hans. „Wir sollten uns ohne Navi am besten am Fluss entlang orientieren.“
„Bleibt nur noch die Frage, wie wir ihn wieder überqueren, denn unser Lager liegt auf der andern Seite. Hoffen wir mal, dass der Seitenarm nicht so breit ist und wir durchwaten können.“
Als sie etwa eine halbe Stunde dicht am Ufer entlang gegangen waren, kamen sie zur Flussgabelung. Leider war der Seitenarm, der sie von ihrem ursprünglich kleinen Bach trennte deutlich breiter und tiefer, so dass durchwaten oder durchschwimmen ausschied. Sie mussten also weiter flussaufwärts gehen und auf eine Brücke hoffen. Nach gut einer Meile erreichten sie eine Stelle, die trotz der absoluten Dunkelheit dieser Mondlosen Nacht ungefährlich genug aussah, um an ihr den Fluss zu überqueren. Jetzt waren sie ihrem Ausgangspunkt zumindest ein Stückchen näher gekommen, dafür war das Gelände umso unbegehbarer. Immer wieder versperrten Hecken oder Schluchten ihnen den Weg und mit jeder Umgehung verloren sie mehr und mehr die Richtung.
„Also man soll ja nichts gegen die moderne Technik sagen, aber so ohne Navi-App merkt man schon, wie verloren man ohne den ganzen Schnickschnack ist.“ scherzte Hans um die Situation ein bisschen aufzulockern. Aber eigentlich wurde beiden der Ernst ihrer Lage mehr und mehr bewusst. Mittlerweile liefen sie seit fast zwei Stunden in halbnassen Klamotten durch den Wald und hatten weder einen Weg geschweige denn jemand zum danach fragen getroffen. Dadurch dass sie kaum etwas sahen mussten sie sehr langsam gehen und trotzdem stolperten und fielen sie alle paar Meter hin, so dass sie bereits ganz zerschrammte Hände und Knie hatten. Die Hoffnung an ihrem Zeltplatz herauszukommen hatten sie bereits aufgegeben, ihren würde mittlerweile irgendein Zeichen von Zivilisation genügen, ein Strommast dessen Kabeln sie Folgen konnten im schlimmsten Fall. Die Witze und ironischen Sprüchen waren ihnen bereits vor einer Stunde ausgegangen und obwohl beide schweigend hintereinander querfeldein marschierten verspürte keiner den Drang, etwas zu sagen. Panik kam in ihnen auf.
„DA!“ rief Gregor auf einmal als er sich krabbelnd einen kleinen Hügel hinaufgeschleppt hatte. „Ich sehe ein Licht!“ Dieser Funke Hoffnung trieb Hans sofort mit ungeahnten Kräften den Hügel hinauf und nun konnte auch er es sehen. Ein schwaches Licht schimmerte in einem knappen Kilometer Entfernung vor ihnen im Tal. Auf einmal spürten sie die Blasen an ihren Füßen nicht mehr und ihre Beine liefen wie von Geisterhand getrieben. Immer näher kamen sie dem Licht und bald war es ganz deutlich als ein rechteckiges, beleuchtetes Fenster zu identifizieren. Noch knapp 500 Meter trennten sie von ihrem Ziel, als das Licht plötzlich erlosch.
„Schnell, wir müssen dichter rankommen solange wir die Richtung noch wissen.“ rief Hans und sprintete voran. Dabei blieb es nicht aus, dass er im unebenen Untergrund stolperte und eine Bauchlandung hinlegte. Doch zu seiner Überraschung fiel er weich in ein dickes Polster aus Moos. Er raffte sich auf und erblickt um sich herum eine ganz andere Art von Wald, als noch vor wenigen Augenblicken. Die Bäume waren dicker und standen weiter auseinander. Dazwischen gab es niedrige Büsche aber alles in allem wirkte dieses Stück Wald aufgeräumt, fast wie ein Park. Auch war es auf einmal total still um sie herum, der Moosboden schluckte alle Geräusche.
„Gruselig.“ sagte Gregor und trat ganz nah an Hans heran. Beide Männer tasteten instinktiv nach der Hand des Andern und drückten sie fest, als sie sie gefunden hatten. Diese Stille wirkte unheimlich auf sie und das Gefühl von Nähe war das Einzige, was ihre pulsierenden Herzen ein wenig beruhigen konnte. Hand in Hand schritten sie nun deutlich langsamer voran. Der Waldboden war nun zwar so eben, dass sie schneller als eben hätten laufen können, doch ihre Füße klebten wie Blei am Untergrund. Als Hans sich umblickte sah er nur Dunkelheit und auch in die anderen Richtungen war kaum zehn Meter weit zu sehen. Beide hofften darauf, dass gleich wieder das Licht vor ihnen angehen würde, damit sie zumindest wussten dass sie noch auf dem Richtigen Weg waren. Doch plötzlich und ohne Vorwarnung stieß Hans mit seinem Knie an etwas und zuckte zurück. Vorsichtig tastete er mit der freien Hand nach unten und drückte dabei mit der anderen die Hand von Gregor noch fester.
„Eine Mauer, nein warte, ein Zaun!“ sagte er. Beide tasteten nach den Spitzen der Zaunlatten und als sie jeder eine zu Greifen bekommen hatten, hangelten sie sich daran langsam weiter. Es war ein Jägerzaun mit Rautensprossen, den sie auch leicht hätten überklettern können. Doch wo sie jetzt endlich ein Stück Zivilisation in der Hand hatten, wollten sie sich nicht wieder davon entfernen. Nach gut 20 Metern bekam Gregor eine andere Lattenform zu fassen. Das war ein Torpfosten und in der stockdunklen Nacht gelang es ihm, den Griff zu finden und das Tor zu öffnen. Vorsichtig schritten beide hindurch und merkten bereits bei ihren ersten Schritten, dass feiner Kies unter ihren Füßen lag. Das musste ein Weg sein. Schemenhaft taten sich Konturen eines Hauses vor ihnen auf und da erblickten sie auch schon ein Fenster. Hans blickte gerade in die Scheibe, als er dahinter ein Gesicht vorbeihuschen sah. Er erschreckte so, dass er einen Angstschrei nicht mehr unterdrücken konnte. Gregor zuckte zusammen.
„Da ist jemand!“ flüsterte Hans mit zittriger Stimme.
„Na dann komm.“ versuchte Gregor ihm Mut einzureden, wenngleich sein Herz ihm ebenfalls bis zum Hals schlug. „Der kann uns bestimmt helfen, gleich haben wir es geschafft.“ Sie gingen vorsichtig die letzten Schritte bis sie vor der Tür standen. Eine Klingel sahen sie nicht und so klopfte Gregor. Das klopfen klang leise und gedämpft. Das Holz der Tür schien moderig und ganz weich. Gregor hatte das Gefühl, dass er sie durch sein Klopfen sogar leicht eingedellt hatte. Zumindest hatte er ein bisschen von ihrer Oberfläche abgerieben. Er wischte sich den Schmutz von den Fingerknöchel und dabei kam so ein eigenartiger Geruch auf. Nichts Unangenehmes, etwas bekanntes. Irgendwie roch seine Hand geradezu weihnachtlich. Fast wie – Lebkuchen.

Kommentare

Anonym hat gesagt…
he he echt gut was sich da andeutet :) freut mich zu lesen bitte möglichst schnell weiter schreiben.
Anonym hat gesagt…
Hört sich super an :)
Anonym hat gesagt…
Ach ja Märchen sind echt ne leckere Sache......
Anonym hat gesagt…
geile Aussichten..........
Anonym hat gesagt…
Sehr ausführliche Einführung....ausführlich und dabei spannungsvoll entwickelt...bin mir als gespannt auf den nächsten teil
Anonym hat gesagt…
Wär einfach extremst schade keine fortsetzung zu lesen....zu geil, was sich da andeutet

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